VVG § 187; BGB § 242
Leitsatz
Ein Unfallversicherer muss sich die Neubemessung der Invalidität nicht vorbehalten haben, wenn er bei später erkannter Unrichtigkeit der Erstbemessung den bereits regulierten Betrag (teilweise) zurückverlangen will.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 9.2.2022 – 5 U 53/21
Sachverhalt
Die Kl. begehrt von dem Bekl. die teilweise Rückzahlung gewährter Versicherungsleistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag. Dem Vertrag liegen die AUB 94 sowie Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel 225 % zugrunde. Die versicherte Grundsumme für den Fall der Invalidität beträgt 115.040,67 EUR.
Der Bekl. zeigte der Kl. ein Unfallereignis vom 14.2.2015 an (Treppensturz), bei dem er sich eine Oberschenkelhalsfraktur rechts zugezogen hatte. In der Folge gab die Kl. ein Gutachten zur Frage einer Invalidität des Bekl. bei Herrn Dr. med. R. in Auftrag. Dieser stellte eine unfallbedingte Invalidität von 3/10 Beinwert fest. Daraufhin rechnete die Kl. mit Schreiben vom 10.5.2016 ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 21 % eine Invaliditätsleistung in Höhe von 24.159,00 EUR ab und zahlte diesen Betrag an den Bekl.
In dem Abrechnungsschreiben teilte die Kl. dem Bekl. Folgendes mit:
"Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu 3 Jahren nach dem Unfall erneut ärztlich bemessen zu lassen. Ergibt die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung, als wir bereits erbracht haben, zahlen wir den Mehrbetrag einschließlich der bedingungsgemäß vorgesehenen Zinsen nach. Ergibt die Bemessung eine niedrigere Leistung, fordern wir den zuviel gezahlten Betrag zurück."
Nachdem der Bekl. über seinen Versicherungsmakler am 3.2.2017 das Recht auf Neubemessung geltend gemacht hatte, holte die Kl. eine weitere gutachterliche Stellungnahme bei Herrn Dr. D. ein, der nunmehr eine unfallbedingte Invalidität von nur 2/10 Beinwert annahm. Daraufhin rechnete die Kl. mit Schreiben vom 4.1.2018 die Invaliditätsleistung ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 14 % neu mit 16.105,74 EUR ab und forderte den Bekl. zur Rückzahlung des Differenzbetrages von 8.053,26 EUR auf, was die Prozessbevollmächtigten des Bekl. mit Schreiben vom 29.1.2018 ablehnten.
2 Aus den Gründen:
Die Kl. hat gegen den Bekl. einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Zahlung von 8.053,26 EUR, weil die von ihr erbrachte Invaliditätsleistung in diesem Umfang überhöht war und dem Bekl. bei Zugrundelegung des zutreffenden Invaliditätsgrades von (höchstens) 2/10 Beinwert nicht mehr als 16.106,74 EUR zustanden.
1. Einem Rückforderungsanspruch der Kl. steht nicht schon ihre Erklärung über ihre Leistungspflicht im Schreiben vom 10.5.2016 entgegen. Zwar hatte die Kl. gemäß § 11 I. AUB 94 binnen der dort bestimmten Frist zu erklären, ob und in welcher Höhe sie einen Anspruch des Bekl. auf Invaliditätsleistung anerkennt. Trotz der Verwendung des Begriffs "anerkennen" stellt die Erklärung des Unfallversicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, nach den Versicherungsbedingungen indes nur eine einseitige Meinungsäußerung des VR und Information an den Anspruchsberechtigten dar, welche die Fälligkeit der anerkannten Entschädigung herbeiführt, im Übrigen aber keine rechtsgeschäftliche, potentiell schuldbegründende oder schuldabändernde Regelung bewirken soll. Weitergehende Wirkungen legen dieser Erklärung weder die Bedingungen noch das Gesetz (§ 187 Abs. 2 VVG) bei (vgl. BGHZ 66, 250 zu §§ 11, 13 AUB 61 [unter II 2 b aa]; VersR 2019, 1412 Rn 10 [zu Ziffer 9 AUB 99], bei. Rechtsgrund der Invaliditätsleistung ist danach nicht die Erklärung des Unfallversicherers, dass er den Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkennt, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag. Ist die ausgezahlte Invaliditätsleistung vertraglich nicht oder nicht in voller Höhe geschuldet, steht dem Unfallversicherer daher grundsätzlich ein Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, wobei es ihm obliegt, dessen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen (…).
2. Der Rückforderungsanspruch der Kl. hängt auch nicht davon ab, ob die Kl. sich das Recht auf Neubemessung der Invalidität gemäß § 11 IV. AUB 94 vorbehalten hat. Daher kommt es auf die möglicherweise eine Zulassung der Revision gebietende Beantwortung der Rechtsfrage, ob eine Neubemessung der Invalidität auf Verlangen des VN ein Recht des VR auf (teilweise) Rückforderung der Invaliditätsleistung begründen kann, nicht an. Denn die Kl. ist an die Erstbemessung der Invalidität nicht gebunden und kann daher ihren Rückforderungsanspruch darauf stützen, dass bei dem Bekl. von Anfang an tatsächlich ein geringerer Grad der Invalidität vorlag als sie ihrer Regulierungszahlung zugrunde gelegt hatte.
a. Aus den Regelungen in § 11 I. und IV. AUB 94 folgt, wie eine Auslegung dieser Klauseln ergibt, keine Bindung des Unfallversicherers an die Erstbemessung der Invalidität, weshalb die Kl. auch keine Neubemessung der Invalidität verlangen musste, um den regulierten Betrag teilweise zurückverlangen z...