StVG a.F. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y; StVG § 3 Abs. 4; FeV § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 § 13 S. 1 Nr. 2c § 11 Abs. 8 S. 1; FeV Anlage 4 Nrn. 8.1, 8.2
Leitsatz
1. Die Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 StVG gilt schon ihrem Wortlaut nach nur für die Entziehung der Fahrerlaubnis, nicht für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.
2. Solange der Betroffene ein zu Recht angeordnetes Eignungsgutachten nicht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 FeV davon ausgehen, dass seine Ungeeignetheit zum Führen von Fahrzeugen feststeht und auch eine bedingte Eignung nicht gegeben ist.
3. Verfassungsrechtliche Bedenken an § 3 Abs. 1 FeV als der Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung sowie an deren Ermächtigungsgrundlage in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG v. 5.3.2003 müssen einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Gleiches gilt für die Frage, ob die pauschale Verweisung in § 3 Abs. 2 FeV auf die für Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber geltenden Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV hinsichtlich der Klärung von Eignungszweifeln angesichts des im Vergleich dazu geringeren Gefährdungspotenzials fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge dem Verhältnismäßigkeitsgebot gerecht wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2020 – 3 B 5.20, DV 2021, 109, Leits. in zfs 2021, 360 mit Hinweis).
(Leitsätze der Schriftleitung)
BayVGH, Beschl. v. 25.4.2022 – 11 CS 21.2988
Sachverhalt
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Untersagung, Fahrräder auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen zu führen.
Im Dezember 2020 teilte die Polizeiinspektion K. dem Landratsamt K. mit, der Antragsteller sei am 11.9.2020 gegen 21:15 Uhr als Radfahrer in V. gestürzt und habe sich dabei eine Platzwunde am Kopf zugezogen. An den Unfallhergang habe er sich nicht mehr erinnern können. Die um 22:15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,81 Promille. Mit Strafbefehl vom 20.12.2020, der hinsichtlich des Schuldspruchs rechtskräftig ist, verurteilte das AG K. den Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB).
Mit Schreiben vom 23.3.2021 forderte das Landratsamt den Antragsteller unter Verweis auf diesen Sachverhalt auf, bis zum 26.5.2021 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen.
Nachdem kein Gutachten vorgelegt wurde, untersagte das Landratsamt dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 6.10.2021, Fahrräder auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen zu führen. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung der Untersagung an.
Am 5.11.2021 ließ der Antragsteller Klage (W 6 K 21.1434) erheben und zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen, den das VG Würzburg mit Beschl. v. 16.11.2021 (W 6 S 21.1435) ablehnte.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der der Antragsgegner entgegentritt.
2 Aus den Gründen:
Zitat
… II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Aus den in den Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der VGH grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des VG gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu ändern oder aufzuheben wäre.
a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 [DV 2021, 109 =] NJW 2021, 1970 = juris Rn 10 ff.; BayVGH, Urt. v. 17.1.2020 – 11 B 19.1274 – zfs 2020, 175 = juris Rn 18 ff. jeweils m.w.N.). Denn bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, da sich die Regelungswirkung nicht in einem einmaligen Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage in der Vergangenheit erschöpft, sondern sich das angeordnete Verbot fortlaufend verlängert und aktualisiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2020 a.a.O. Rn 10).
Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm nach § 3 Abs. 1 S. 1 FeV v. 13.12.2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.3.2022 (BGBl I S. 498), das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen. Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV fehlt die Fahreignung in Fällen des Alkoholmissbrauchs, d.h. wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden. Nach Beendigung des Missbrauchs besteht die Fahreignung gemäß Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV erst dann wieder, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist, was durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nachzuweisen ist (vgl. BayVGH, Beschl. v. 3.8.2015 – 11 CS 15.1204 – juris Rn 13). Nach § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologi...