StVZO § 31a Abs. 1 S. 1; VwGO § 113 Abs. 1 S. 4 § 144 Abs. 4
Leitsatz
1. Wird eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung von Amts wegen nur überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.
2. Wendet sich der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren, kann er sich nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.
BVerwG, Urt. v. 2.2.2023 – 3 C 14.21
1 Sachverhalt
Der Kl., gegen den die Anordnung ergangen war, ein Fahrtenbuch zu führen, begehrt nach deren Erledigung die Feststellung, dass die Anordnung rechtswidrig war. Im Dezember 2018 wurde auf der BAB A 8 mit einem mobilen Lasermessgerät des Typs VITRONIC Poliscan FM 1 gemessen, dass mit dem auf den Kl. zugelassenen Pkw die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten wurde. Der Fahrer des Fahrzeugs konnte nicht festgestellt werden. Daraufhin gab der Bekl. dem Kl. unter Anordnung des Sofortvollzugs auf, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen. Der Kl. kam der Anordnung nach. Seine nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Anordnung festzustellen, hat er damit begründet, dass die Geschwindigkeitsmessung nicht verwertbar sei, da das Messgerät keine Rohmessdaten speichere. Das VG Saarlouis hat die Klage mit Urt. v. 9.12.2020 – VG 5 K 736/20 – abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das OVG des Saarlandes mit Urt. v. 6.10.2021 – OVG 1 A 8/21 (Leits. in zfs 2022, 60), festgestellt, dass das Messgerät die Rohmessdaten gespeichert hatte. Der Kl. hat daraufhin geltend gemacht, diese Daten würden ihm von der Bußgeldstelle nicht vollständig zur Verfügung gestellt, obwohl das für eine effektive Rechtsverfolgung erforderlich sei. Das OVG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Behörden und Gerichte dürften auch bei der Entscheidung über eine Fahrtenbuchanordnung die Ergebnisse standardisierter Messverfahren zugrunde legen, solange der Betroffene keine substanziierten Einwände gegen die Richtigkeit der Messung erhebe. Um dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, deren Richtigkeit zu überprüfen, gebiete das Recht auf ein faires Verfahren, ihm Zugang zu Rohmessdaten zu gewähren. Nach der Rspr. des BVerfG müsse der Betroffene diesen Zugang aber rechtzeitig beantragt haben. Das sei hier nicht geschehen. Der Kl. habe seinen Antrag auf Zugang bei der Bußgeldstelle erst gestellt, als die Geltungsdauer der Fahrtenbuchanordnung bereits abgelaufen gewesen sei.
Das BVerwG hat die Revision des Kl. zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen: "… II.
[10] Die zulässige Revision des Kl. ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat ohne Bundesrechtsverstoß angenommen, dass der Kl. das gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, hier in entsprechender Anwendung, erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der zeitlich erledigten Fahrtenbuchanordnung hat (1.). Dass das OVG die in Bußgeldverfahren geltenden Grundsätze für die Verwertbarkeit der Ergebnisse standardisierter Messverfahren und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BVerfG auch der Beurteilung der Fahrtenbuchanordnung des Bekl. zugrunde gelegt hat, ist ebenfalls mit Bundesrecht vereinbar (2.). Nicht im Einklang mit Bundesrecht steht dagegen, dass das OVG dem Umstand, dass die Bußgeldstelle dem Kl. auf seinen Antrag Zugang nur zu einem Teil der begehrten Daten gewährt hat, eine Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchanordnung bereits deshalb abgesprochen hat, weil der Kl. den Antrag erst gestellt hat, als die Fahrtenbuchanordnung erledigt war (3.). Die Entscheidung des OVG stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Kl. kann sich gegenüber der Fahrtenbuchanordnung des Bekl. auf die Nichtgewährung eines weitergehenden Datenzugangs durch die Bußgeldstelle nicht berufen, weil er nicht alles ihm Zumutbare unternommen hat, um den behaupteten umfassenden Anspruch auf Datenzugang bei der Bußgeldstelle durchzusetzen, der seiner Auffassung nach nicht nur die seinen Pkw betreffenden Rohmessdaten, sondern auch die Rohmessdaten Dritter und die Statistikdatei einschließt (4.).
[11] 1. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, das auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Fahrtenbuchanordnung gerichtete Fortsetzungsfeststellungsbegehren des Kl. sei zulässig, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Der Kl. verfügt über das nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung.
[12] a) Die gegen den Kl. gerichtete Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, hat sich mit dem Ende...