StPO § 265 Abs. 1
Leitsatz
1. Wird der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und nimmt weder er noch sein Verteidiger an dieser teil, reicht ein Hinweis auf eine abweichend vom Bußgeldbescheid in Betracht kommende Verurteilung wegen Vorsatzes nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht aus.
2. Anders als bei einer allein auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützten Beanstandung setzt die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO nicht voraus, dass der Beschwerdeführer auch vorträgt, wie er sich im Falle eines ordnungsgemäß erteilten Hinweises verteidigt hätte, insbesondere was er in diesem Fall konkret geltend gemacht bzw. wie er seine Rechte im Einzelnen wahrgenommen hätte (Abgrenzung zu BayObLG, Beschl. v. 21.1.2022 – 202 ObOWi 2/22, NZV 2022, 482 = BeckRS 2022, 3278).
BayObLG, Beschl. v. 1.2.2023 – 202 ObOWi 1580/22
1 Sachverhalt
Das AG hat den von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG antragsgemäß entbundenen und in dieser auch nicht durch Verteidiger vertretenen Betroffenen in dessen Abwesenheit mit dem angefochtenen Urteil wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h zu einer Geldbuße von 960 EUR mit Fahrverbot von 2 Monaten verurteilt. Das BayObLG hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG aufgehoben und die zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen
[…] II. Das Rechtsmittel hat mit der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge einer Verletzung der Hinweispflicht Erfolg, weil der Betroffene und seine Verteidigung während des gerichtlichen Verfahrens entgegen den §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO nicht auf die Möglichkeit einer von der rechtlichen Beurteilung des Bußgeldbescheids abweichenden Verurteilung wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes in der gebührenden Weise hingewiesen wurde. Auf die weiteren verfahrensrechtlichen und die sachlich-rechtlichen Beanstandungen der Rechtsbeschwerde kommt es nicht mehr an.
1. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer vorgenannten Antragsschrift vertretenen Auffassung ist die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO zulässig ausgeführt.
a) Von der Rechtsbeschwerde werden gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO im Rahmen der Rechtsbeschwerdebegründung alle wesentlichen den Mangel enthaltenden Verfahrenstatsachen aus sich heraus verständlich und derart vollständig, genau und bestimmt mitgeteilt, dass der Senat in den Stand gesetzt ist, allein aufgrund des Rügevorbringens zu prüfen, ob der gerügte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.
b) Die Zulässigkeit der Rüge setzt nicht voraus, dass der Beschwerdeführer vorträgt, wie er sich im Falle eines ordnungsgemäß erteilten Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO verteidigt hätte. Denn für die Beurteilung eines Verstoßes gegen diese Norm kommt es hierauf nicht an. Dem steht die von der GenStA zitierte Entscheidung des Senats vom 21.1.2022 (BayObLG NZV 2022, 482 = BeckRS 2022, 3278) nicht entgegen. Denn dieser Entscheidung lag eine andere Verfahrenskonstellation zugrunde. Dort ging es um die Rügeanforderungen für die alleinige Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, den der Beschwerdeführer darin erblickt hatte, dass das Tatgericht gerichtsbekannte Tatsachen ohne ordnungsgemäßen Hinweis im Urteil verwertet hatte. Für diese Rüge hat der Senat (a.a.O.) entschieden, dass es einer Darlegung dazu bedarf, was der Betroffene im Falle der ordnungsgemäßen Anhörung geltend gemacht bzw. wie er seine Rechte wahrgenommen hätte. Denn die Beurteilung, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt wurde, ist nur möglich, wenn klar ist, welcher Vortrag dem Betroffenen durch die Vorgehensweise des Gerichts abgeschnitten wurde. Im vorliegenden Verfahren macht die Rechtsbeschwerde aber keineswegs allein einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör geltend, sondern beanstandet mit der zusätzlichen Angriffsrichtung ausdrücklich zugleich einen "Verstoß gegen § 265 StPO".
2. Die Rüge ist auch begründet, weil ein gerichtlicher Hinweis auf die Möglichkeit eines von der Schuldform des Bußgeldbescheids abweichenden Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes nach § 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO nicht wirksam erteilt worden ist.
a) Die Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung, zu der die Annahme einer vorsätzlichen statt fahrlässigen Schuldform zählt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 265 Rn 11; KK StPO/Bartel § 265 Rn 11; BeckOK StPO/Eschelbach § 265 Rn 14; MüKo StPO/Norouzi § 265 Rn 21; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 71 Rn 50), dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und der Gewährleistung seines Anspru...