OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
Zur Ablehnung eines Beweisantrags auf sachverständige Begutachtung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, mit dem die Angaben zweier Polizeizeugen entkräftet werden sollen.
OLG Köln, Beschl. v. 4.1.2024 – 1 ORBs 379/23
1 Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde dauerte, zu der Geldbuße von 400 EUR verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot mit Schonfrist angeordnet. Es hat zum Tatgeschehen die nachfolgenden Feststellungen getroffen: Die Lichtzeichenanlage zeigte für den Linksabbiegerverkehr bereits während der gesamten, sich über ca. 200 m erstreckenden Zufahrt des Betroffenen durchgehend Rotlicht. Der Betroffene setzte seine langsame Zufahrt auf den Kreuzungsbereich fort, bis er den möglichen Querverkehr einsehen konnte, beschleunigte sein Fahrzeug dann abrupt, überfuhr vorsätzlich die Haltelinie der noch immer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage im Kreuzungsbereich und fuhr anschließend zügig nach links. Das OLG Köln hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff.1 und 2 OWiG statthafte, Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1. Für die von der Verteidigung in erster Linie erstrebte Verfahrenseinstellung besteht keine Veranlassung; Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten. Der Bußgeldbescheid vom 31.3.2022 bildet aus den vom AG zutreffend dargelegten Gründen eine wirksame Verfahrensgrundlage.
2. Das angefochtene Urteil unterfällt indessen auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG der Aufhebung; auf die – freilich gleichfalls bedenkenswerten – sachlich-rechtlichen Beanstandungen zur subjektiven Tatseite kommt es damit nicht an.
a) Der Rüge liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:
Im Hauptverhandlungstermin hat der Verteidiger des Betroffenen den – zuvor bereits schriftsätzlich zur Akte gereichten – Antrag gestellt, auf der Grundlage von – teils bereits zur Akte gelangten – Signalzeitenplänen ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass (namentlich) am 10.2.2022, 04:57 die Ampel für Linksabbieger an der Kreuzung Y.-straße/M.-straße Grünlicht zeigt, wenn von der L.-straße bei Grünlicht auf die Y.-straße abgebogen und mit normaler Geschwindigkeit auf die Ampel für Linksabbieger an der Kreuzung Y.-straße/M.-straße zugefahren wird.
Diesen Antrag hat das Tatgericht mit der Kurzbegründung des § 77 Abs. 3 OWiG abgelehnt und hierzu in den Gründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob die tatsächliche Schaltung der Ampelanlage der von der Straßenverkehrsbehörde gewollten entsprochen habe. Es hätten zwei (polizeiliche) Zeugen zur Verfügung gestanden, die das maßgebliche Licht der Lichtzeichenanlage glaubhaft und verlässlich hätten beobachten und den stattgehabten Verstoß glaubhaft hätten darlegen können.
b) Die Rüge hat Erfolg:
aa) Sie ist zulässig erhoben. Lehnt das Tatgericht einen Beweisantrag mit der Begründung des § 77 Abs. 2 Ziff. 1 OWiG ab, die begehrte Beweiserhebung sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich, kann eine Verletzung des Beweisantragsrechts nur mit der Aufklärungsrüge beanstandet werden. Nötig ist demnach neben der Wiedergabe von Beweisantrag und gerichtlicher Entscheidung hierüber die bestimmte Behauptung eines dem Beschwerdeführer günstigen Beweisergebnisses. Ferner muss dieser sich dazu verhalten, welche Umstände das Tatgericht zu der begehrten Beweiserhebung hätten drängen bzw. eine solche jedenfalls hätten nahelegen müssen (s. insgesamt Senat NStZ-RR 2021, 25).
Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung. Namentlich wird mit dem Vortrag, die fragliche Ampelanlage an der Kreuzung Y.-straße/M.-straße schalte "stets" auf Grünlicht um, wenn diese von der bei Grünlicht verlassenen L.-straße aus angefahren werde, und weiter mit der Behauptung, die Induktionsschleifen hätten zur Tatzeit nur bei Grünlicht zeigender Ampel an der Kreuzung Y.-straße/M.-straße einen Kontakt angezeigt, ein dem Beschwerdeführer günstiges Beweisergebnis bestimmt behauptet. Soweit es in der Rechtsbeschwerdebegründung weiter heißt, mit der begehrten Beweiserhebung wären die Aussagen der Polizeibeamten widerlegt "bzw. jedenfalls hinreichend bezweifelt" worden, ist hiermit lediglich ohne Abstriche in der Beweisbehauptung das erstrebte Beweisziel näher bezeichnet.
bb) Die Rüge ist auch begründet:
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht eine (weitere) Beweiserhebung ablehnen, wenn eine solche bereits stattgefunden hat, das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt ist, der Sachverhalt sei geklärt und die Wahrheit gefunden und die beantragte Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (statt aller: KK-OWiG/Senge, § 77 Rn 15). Ist der Sachverhalt aufgrund ...