ZPO § 114 § 261; BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1; VVG § 172
Leitsatz
Hat ein VN eine Klage auf Feststellung des Fortbestandes eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages erhoben, so ist die spätere Beantragung von Prozesskostenhilfe für eine separate Klage auf Leistung von Rentenzahlungen (statt einer Klageerweiterung) in der Regel mutwillig.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.3.2024 – 8 W 444/24
1 Sachverhalt
Der Kl. führt unter dem Az. 3 O … vor dem LG A. ein Verfahren, in welchem er festgestellt wissen will, dass sein bei der Bekl. gehaltener Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung weder durch Rücktritt vom 19.6.2020 noch durch Anfechtung vom 8.7.2020 aufgelöst wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht. Auf seinen verfahrenseinleitenden Antrag vom 17.10.2022 hin wurde dem Kl. für jenes erstinstanzliche Verfahren mit Beschl. v. 29.12.2022 antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt. Der exakte Stand jenes Rechtsstreits ist den Akten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht zuverlässig zu entnehmen.
Dem Klageentwurf vom 22.12.2023 ist zu entnehmen, dass gegen die Bekl. nunmehr bezifferte Leistungsanträge aus demselben Vertragsverhältnis geltend gemacht werden sollen (rückständige Renten, zukünftige Monatsrenten, Beitragserstattung, künftige Beitragsfreistellung), und zwar mit der Behauptung, es sei seit April 2020 eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten, weil der Kl. wegen einer "dissoziativen Störung im Zusammenhang mit multiplen Traumatisierungen" sowie einer "anhaltenden posttraumatischen Belastungsstörung nach vielfältigen schweren Traumatisierungen" in keinster Weise mehr in der Lage sei, seinen Beruf oder irgendeinen anderen Beruf auszuüben.
Die Bekl. hat mit Schriftsatz vom 5.1.2024 die Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuchs beantragt und ausgeführt, es liege doppelte Rechtshängigkeit vor, weil unter Az. 3 O … das anderweitige Klageverfahren anhängig sei, zudem sei die – beabsichtigte – Leistungsklage unbegründet, weil die Bekl. wirksam den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und zudem wirksam den Rücktritt erklärt habe.
2 Aus den Gründen:
II. Die zulässige sofortige Beschwerde (vgl. §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) des Kl. hat in der Sache keinen Erfolg. Das LG hat zu Recht die beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (vgl. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO) abgelehnt.
1. Maßgeblich sind hierbei die von der Rechtsprechung für den Begriff der Mutwilligkeit aufgestellten – und vom Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.2014 in die Legaldefinition des § 114 Ab. 2 ZPO übernommenen – Grundsätze. Diese hat das LG hier beachtet und zutreffend auf den Streitfall angewandt. Während die hinreichende Aussicht auf Erfolg die materielle Begründetheit des Anspruchs betrifft, wird von der Frage der Mutwilligkeit in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs betroffen. Mutwillig ist in der Regel eine Rechtsverfolgung, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso Erfolg versprechend ist.
Mutwilligkeit i.S.v. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO liegt deshalb regelmäßig vor, wenn eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können (vgl. BAG NJW 2011, 1161).
Weitgehend Einigkeit besteht insoweit, als die Staatskasse nicht verpflichtet ist, Kosten zu tragen, die bei Beachtung der Grundsätze einer wirtschaftlichen Prozessführung nicht entstanden wären, und deshalb Gebühren, die erst dadurch entstehen, dass Streitgegenstände in gesonderten Klagen statt durch Klagehäufung geltend gemacht werden, grundsätzlich nicht zu erstatten sind. Der Wortlaut des § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO bindet die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung mit der Formulierung "wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung … nicht mutwillig erscheint" daran, dass diese nicht mutwillig ist. Wird mit der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum angenommen, dass derjenige mutwillig handelt, der von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen denjenigen beschreitet, von dem er von vornherein annehmen muss, dass er der kostspieligere ist, darf solch eine unwirtschaftliche Prozessführung nicht erst im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden. Selbst wenn eine uneingeschränkt in getrennt erhobenen Klagen jeweils erfolgte Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Staatskasse nicht hindern würde, im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen, ob die durch den Rechtsanwalt verursachten Kosten überhaupt notwendig waren, so schließt der Wortlaut des § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO doch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schon von vornherein aus, wenn die genan...