1a. Art 88 Abs. 1 S. 2 ThürVerf gewährleistet für das Strafverfahren über den Anspruch auf rechtliches Gehör hinaus, sich zu verteidigen. Art 88 Abs. 1 S. 3 ThürVerf gewährleistet für alle gerichtlichen Verfahren, sich eines rechtlichen Beistandes bedienen zu können.

1b. Das inhaltlich mit seiner grundgesetzlichen Gewährleistung deckungsgleiche Rechtsstaatsprinzip des Art 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf garantiert i.V.m. dem allgemeinen Freiheitsrecht des inhaltsgleich zu Art. 2 Abs. 1 GG ausgestalteten Art. 3 Abs. 2 ThürVerf das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches und faires Strafverfahren. Dieses Verfassungsgebot ist nicht nur Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Es ist auch Leitlinie für die Gerichte, die den Strafprozess mit seinen möglichen weitreichenden Folgen für Beschuldigte nicht auf eine Weise führen dürfen, dass sie zum bloßen Objekt des Verfahrens werden. Dem ist nur genügt, wenn Beschuldigte nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich die Möglichkeit erhalten, zur Wahrung ihrer Rechte aktiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (VerfGH Weimar, 12.11.2002, 12/02 <RIS Rn 21>). Dieser Maßstab gilt auch für Ordnungswidrigkeitenverfahren (vgl. BVerfG, 20.6.2023, 2 BvR 1167/20 <RIS Rn 32 ff.>).

2. Hier:

2a. Der VerfGH macht sich die vom BVerfG in seinem Nichtannahmebeschluss (20.6.2023, 2 BvR 1167/20 <Rn 37 ff.>) formulierten Maßstäbe zu eigen.

aa. Danach ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn Fachgerichte in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht im Fall eines standardisierten Messverfahrens ausgehen (vgl. BVerfG, 12.11.2020, 2 BvR 1616/18 <Rn 39 ff.>).

bb. Um dem aus dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren resultierenden Gedanken der "Waffengleichheit" hinreichend Rechnung zu tragen, ist es denkbar, dass der Betroffene aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen "Waffengleichheit" zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Betroffenen in einem Bußgeldverfahren andererseits auch Zugang zu - zwar nicht in der Bußgeldakte, aber bei der Bußgeldbehörde - vorhandenen Informationen verlangen kann (vgl. hierzu BVerfG, 12.11.2020, 2 BvR 1616/18 <Rn 50 ff.>). Ob auch "Rohmessdaten" zu diesen herauszugebenden Informationen zählen können, haben die Bußgeldbehörden beziehungsweise die Fachgerichte im Einzelfall zu entscheiden (BVerfG a.a.O. <Rn 58>).

2b. Im Hinblick darauf kommt eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf ein faires Verfahren nicht in Betracht, weil die begehrten Rohmessdaten auch bei der Behörde nicht vorhanden und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung im fachgerichtlichen Verfahren vorgetragen worden sind.

Thüringer Verfassungsgerichtshof, Beschl. v. 3.4.2024 – 107/20

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