Kraftfahrer sind Bürger und Bürger können Kraftfahrer sein; der Kraftfahrer ist sozusagen ein Spezialfall des Bürgers. Um die speziellen Entwicklungen einordnen zu können, die sich zur Zeit dort beobachten lassen, wo es um die Überwachung des Verkehrs und um die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten der Bürger geht, ist es hilfreich, den Rahmen und die allgemeine Entwicklung zu skizzieren, in welche sich die aktuellen Entwicklungen im Straßenverkehrsbereich einfügen. Der Bürger ist nicht nur bei neuen Überwachungs- und Ermittlungsmethoden generell, also auch in seiner Eigenschaft als potenzieller Kraftfahrer, in seinem Freiheitsbereich betroffen; er bietet zugleich auch in seiner Eigenschaft als möglicher Verkehrssünder einen vortrefflichen Ansatzpunkt für die Erweiterung staatlicher Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse.
Als Beispiel für Letzteres soll im Folgenden zunächst die Entwicklung nachgezeichnet werden, die sich im Zusammenhang mit der Nutzung der bei den Meldebehörden vorhandenen Lichtbilder für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr ergeben hat. Zuvor aber mag ein kurzer zeitlicher Rückblick den Zusammenhang bewusst machen, in welchem solche speziellen Entwicklungen zu sehen sind. Der Blick zurück ins Jahr 1968 trifft in die Zeit der ersten großen Koalition (der Jahre 1966 bis 1969). Diese änderte vor 40 Jahren das Grundgesetz, um den Geheimdiensten das Abhören von Telefonen ohne eine richterliche Kontrollmöglichkeit zu ermöglichen. Das gegen diese Änderung des Grundgesetzes angerufene BVerfG sah in dieser Durchlöcherung des Rechtsstaatsprinzips und der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG keinen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG. Die Entscheidung erging mit 5 zu 3 Richterstimmen. Die Richtermehrheit stützte sich für ihre Auffassung wesentlich auf das Argument, die Überwachungszwecke erforderten eine solche Regelung.
Mit diesem Argument setzten sich die drei überstimmten Richter wie folgt auseinander:
Eine solche Berufung auf die Heiligung des Mittels durch den Zweck sei "um so bedenklicher, als der darin verwirklichte Gedanke im Wege der Verfassungsänderung auch in andere Bereiche übertragen werden kann. So könnte in Art, 2 Abs. 2 Satz 1 GG der einfache Gesetzgeber ermächtigt werden, in Abänderung des § 136a StPO sog. ´verschärfte´ Vernehmungen zuzulassen, wenn dies dem Schutz der Verfassung oder des Bestandes des Staates dienlich wäre. So könnte Art. 13 GG dahin erweitert werden, dass unter bestimmten Voraussetzungen Haussuchungen ohne Zuziehung des Wohnungsinhabers und dritter Personen vorgenommen und dabei auch Geheimmikrofone unter Ausschluss des Rechtsweges angebracht werden dürften."
Diese Reminiszenz kann vielleicht die Rasanz der Entwicklung verdeutlichen, in die sich der kleine Ausschnitt einfügt, über den im Folgenden gehandelt werden soll. 1968 noch meinten Verfassungsrichter, mit solchen, als argumentum ad absurdum gedachten, Konsequenzen gegen einen Schritt wirksam protestieren zu können, den sie als einen Schritt weg vom Rechtsstaat werteten. Heute haben wir nicht nur den "Großen Lauschangriff" sondern auch eine Diskussion darüber, ob für hinreichend wichtige Ziele nicht doch ein wenig Folter zuzulassen sei.
Etwa um dieselbe Zeit, Ende der 60er Jahre, startete der Siegeszug der elektronischen Datenverarbeitung, zugleich auch begann der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Zulassung von Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen mit großer "Streubreite". Erstes Beispiel eines solchen Gesetzes im Bereich der Strafverfolgung war die Zulassung der strafprozessualen Telefonüberwachung durch §100a StPO im Jahr 1968. Die Stichwörter Rasterfahndung, Kontrollstellen, Wohnblockdurchsuchung, verdeckter Ermittler, Vorratsdatenspeicherung mögen genügen, um die Entwicklung in Erinnerung zu rufen. Der neueste Begriff in diesem Zusammenhang ist der des sog. Kennzeichenscannings; das Bundesverfassungsgericht spricht von "automatisierter Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen". (Dass diese Technik bisher nicht vom Bundesgesetzgeber für den Bereich der Strafverfolgung sondern nur von einigen Landespolizeigesetzen zugelassen worden ist, kann man dabei getrost vernachlässigen. Denn zum einen gibt es politisch da so etwas wie ein Ping-Pong-Spiel zwischen den Gesetzgebern und den entsprechenden politischen Kräften; zum anderen gibt es den von § 481 StPO für die Polizei gesetzlich eröffneten Weg zu den Strafverfolgungsdaten auch in umgekehrter Richtung.)
Ebenfalls – zur Zeit latent – aktuell ist die Frage des Zugriffs auf die "Mautdaten": Nach einer Meldung des Handelsblatts vom 12.3.2008 erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums, der Minister halte auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zum Kennzeichenscanning an seinem Plan fest, die Daten aus der Mauterhebung zur Strafverfolgung zu nutzen. (Interessant daran ist besonders die Tatsache, dass der dafür gar nicht zuständige Innenminister sich um die Strafverfolgung kümmert; auch hieran wird deutlich,...