ZPO § 91; VV RVG Nr. 3200, 3201 Nr. 1
Leitsatz
Wird der Antrag auf Zurückweisung eines Rechtsmittels vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt, das Rechtsmittel dann aber begründet und in der Sache entschieden, ist eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG erstattungsfähig.
BGH, Beschl. v. 1.4.2009 – XII ZB 12/07
Sachverhalt
Das AG Landau – FamG – hat den Antrag der Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge am 2.8.2006 zurückgewiesen. Hiergegen hat sie durch ihren Verfahrensbevollmächtigten beim OLG Zweibrücken am 2.8.2008 eine ohne Begründung versehene befristete Beschwerde eingereicht. Mit Schriftsatz vom 23.8.2006 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt. Die kurze Zeit später bei Gericht eingegangene Beschwerdebegründung der Antragsstellerin hat das OLG dem Antragsgegner zur Stellungnahme bis zum 10.10.2006 zugestellt. Vor Ablauf dieser Frist hat das OLG jedoch die Beschwerde auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Auf Antrag des Antragsgegners hat der Rechtspfleger des FamG als Kosten des Beschwerdeverfahrens u.a. eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG festgesetzt. Mit ihrer hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde begehrte die Antragstellerin die Herabsetzung auf eine 1,1 Verfahrensgebühr. Das OLG Zweibrücken hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Auch mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde hatte die Antragstellerin keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [5] „… Auch wenn der Rechtsmittelgegner vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt, können die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren im Einzelfall zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ZPO darstellen.
[6] a) Durch die Einreichung des Schriftsatzes, mit dem die Zurückweisung der Beschwerde beantragt wurde, ist grundsätzlich nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV RVG eine nach dem Gegenstandswert von 3.000 EUR zu berechnende 1,6-fache Verfahrensgebühr entstanden.
[7] Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG entsteht für das Betreiben des Geschäfts, wozu auch das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht gehört. Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich zwar bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags nach Nr. 3201 Nr. 1 VV RVG auf eine 1,1-fache Gebühr. Hat aber der Rechtsanwalt bereits einen Schriftsatz eingereicht, der die Sachanträge oder einen Sachvortrag enthält, kommt – wie sich aus Nr. 3201 S. 1 Nr. 1 VV RVG ergibt – eine vorzeitige Beendigung des Auftrags und damit eine Ermäßigung der Gebühr nicht mehr in Betracht (BGH, Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 111/07 – AGS 2009, 143 = AnwBl 2009, 235 = RVGreport 2009, 74 (Hansens).
[8] b) Hiervon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob der Antragsgegner diese Kosten von der Antragstellerin als der unterliegenden Beschwerdeführerin erstattet verlangen kann. Dies setzt nach § 91 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ZPO voraus, dass der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Die Erstattung der aufgewendeten Kosten kann eine Partei dabei nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (BGH, Beschl. v. 3.7.2007, NJW 2007, 3723 = AGS 2007, 537 m. Anm. N. Schneider = JurBüro 2008, 35 m. Anm. Madert = RVGreport 2007, 427 (Hansens).
[9] aa) Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei darf bereits vor dessen Begründung einen Rechtsanwalt beauftragen und die entstandenen Kosten im Falle ihres Obsiegens nach § 91 Abs. 1 ZPO vom Gegner erstattet verlangen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2002 – X ZB 9/02 = NJW 2003, 756 = AGS 2003, 219 m. Anm. Madert u. N. Schneider = JurBüro 2003, 257 m. Anm. Enders = BRAGOreport 2003, 53 (Hansens)). Nach der Rechtsprechung des BGH ist allerdings ein die 1,6-fache Verfahrensgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels im erstattungsrechtlichen Sinne grundsätzlich nicht notwendig, sofern der Rechtsmittelführer noch keinen Antrag und keine Rechtsmittelbegründung eingereicht hat. Im Normalfall besteht nämlich kein Anlass für den Rechtsmittelgegner, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels anzukündigen. Der Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf die Entscheidung der Vorinstanz sachlich auseinander setzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels ausgehen könnte, solange mangels einer Rechtsmittelbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist. Das gilt unabhängig davon, ob das Rechtsmittel ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde oder nicht (BGH, Beschl. v. 3.7.2007 – VI ZB 21/06 – FamRZ 2007, 1735 = NJW 2007, 3723; vgl. a...