BGB §§ 401 Abs. 1, 412; SGB X § 116 Abs. 1 S. 1
Liegt eine Einwilligung des Heimbewohners oder seines gesetzlichen Betreuers vor, kam dem Krankenversicherer aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gegen Kostenerstattung zustehen.
BGH, Urt. v. 23.3.2010 – VI ZR 249/08
"Die Klägerin nimmt als gesetzlicher Krankenversicherer den Beklagten auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation einer bei ihr versicherten Heimbewohnerin in Anspruch."
Die unter Betreuung stehende Versicherte zog sich bei einem Sturz in dem vom Beklagten betriebenen Pflegeheim am 30.8.2005 erhebliche Verletzungen zu. Sie wurde vom Pflegepersonal in der Wohnküche auf dem Boden liegend gefunden. Wegen ihrer Verletzungen musste sie ärztlich behandelt werden. Die Kosten in Höhe von 7.883,14 EUR wurden von der Klägerin getragen.
Diese wandte sich, um die Berechtigung eventueller auf sie gem. § 116 SGB X übergegangener Schadensersatzansprüche prüfen zu können, mit Schreiben vom 31.5.2006 an den Beklagten zwecks Einsichtnahme in die Pflegedokumentation. Dem Schreiben war eine Schweigepflichtentbindungserklärung und Herausgabegenehmigung des Betreuers der Geschädigten beigefügt. Der Beklagte und die hinter ihm stehende Versicherung lehnten eine Einsichtnahme der Klägerin in die Pflegedokumentation bzw. deren Herausgabe an die Klägerin ab, weil es sich bei der Pflegedokumentation um hochsensible persönliche Daten handle und ein entsprechendes Recht allein der Geschädigten zustehe.
Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation Zug um Zug gegen Erstattung angemessener Kopierkosten erhoben. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das LG das amtsgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass Kopien der Pflegedokumentation Zug um Zug gegen Zahlung angemessener Kopierkosten nur beschränkt auf die Zeit vom 1.3.2005 bis 31.8.2005 herauszugeben seien. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren der Beklagte weiterhin eine Klageabweisung und die Klägerin eine zeitlich nicht beschränkte Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation.
Aus den Gründen:
[5] "I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann dahinstehen, ob der Klägerin gem. § 294a SGB V ein eigenes Einsichtsrecht zusteht. Die Parteien stritten nämlich um Ansprüche der Klägerin aus übergegangenem Recht. Insoweit stehe ihr ein Recht auf Einsicht bzw. Herausgabe von Kopien gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. §§ 412, 401 BGB zu."
[6] Zwischen den Parteien sei lediglich streitig, inwieweit auch das Einsichtsrecht der Geschädigten bzw. ihr Anspruch auf Herausgabe der Pflegedokumentation auf die Klägerin übergegangen sei. Ein solcher Übergang des aufgrund des Pflegevertrags gem. §§ 242, 611, 810 BGB bestehenden Einsichtsrechts der Geschädigten entsprechend §§ 412, 401 BGB sei grundsätzlich gegeben. Das Einsichtsrecht des Patienten in Krankenunterlagen werde von der Rspr. bejaht. Da der Heimbewohner in gleicher Weise wie ein Patient ein generell geschütztes Interesse daran habe, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen werde, welche Daten sich dabei ergeben hätten und wie man die weiteren Betreuungsmaßnahmen einschätze, erscheine eine unterschiedliche Behandlung von Krankenunterlagen und Pflegedokumentation nicht gerechtfertigt. Folgerichtig müsse das Einsichtsrecht eines Heimbewohners als vertraglicher Nebenanspruch auf den Sozialversicherungsträger mit übergehen, soweit die Einsichtnahme zur Wahrnehmung legitimer wirtschaftlicher Belange geboten sei und ein berechtigtes Interesse der Versicherungsnehmerin an der Geheimhaltung der Unterlagen nicht gegeben bzw. diese mit der Einsichtnahme einverstanden sei. Diese Voraussetzungen seien erfüllt; insbesondere liege eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht sowie eine Genehmigung der Herausgabe der Unterlagen durch den Betreuer der Heimbewohnerin vor.
[7] Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Einsicht bzw. der Herausgabe von Kopien der Dokumentation bestehe allerdings nur bis zum Tag des Sturzes am 30.8.2005 und für einen angemessenen Zeitraum davor. Das Einsichtsrecht sei nämlich nicht unbeschränkt auf die Klägerin übergegangen, sondern nur in dem Umfang, in dem sie es zur Wahrnehmung ihrer materiellen Interessen benötige.
[8] II. Sowohl die Revision der Klägerin als auch die Revision der Beklagten bleiben ohne Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gegen eine Kostenerstattung aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB wegen eines möglichen Schadensersatzanspruchs der Versicherten aus einer Verletzung des Heimvertrags bzw. § 823 Abs. 1 BGB zu. Dieses Einsichtsrecht ist allerdings auf den vom Berufungsgericht begrenzten Zeitraum beschränkt.
[9] A. Revision der Beklagten:
[10] 1. Im Streitfall kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin ein eigenes Ein-sichtsrecht gem. § 294...