VVG § 22; BGB § 123
Leitsatz
Eine Nachfrage obliegt dem Versicherer nur dann, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vom Versicherungsnehmer erteilten Auskünfte nicht abschließend oder nicht richtig sein können.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 11.5.2011 – IV ZR 148/09
Sachverhalt
Die an Brustkrebs erkrankte Kl. nimmt die Bekl. aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch. Bei Antragstellung hatte die Bekl. die üblichen Gesundheitsfragen im Wesentlichen verneint. Auf die Frage nach Erkrankungen der Haut hatte sie allerdings eine seit Geburt bestehende Neurodermitis, den sie deshalb behandelnden Arzt und die ihr verordneten und von ihr eingenommenen Medikamente angegeben. Im Rahmen der Leistungsprüfung erfuhr die Bekl., dass die Kl. vor Antragstellung mehrere Jahre lang wegen Asthma bronchiale behandelt worden war. Daraufhin focht sie den Vertrag an und trat von ihm zurück.
2 Aus den Gründen:
[9] „… I. Nach Auffassung des BG greift die von der Bekl. erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht durch. Zwar habe die Kl. ihre Asthmaerkrankung auf die Frage nach Erkrankungen der Atmungsorgane nicht mitgeteilt. Sie habe dies aber plausibel damit erklärt, dass sie eine Verbindung zwischen der angegebenen Neurodermitis und dem allergischen Asthma gesehen habe. Diese Auffassung der Kl. werde durch den von der Bekl. vorgelegten “Wikipedia’-Auszug zum Thema Neurodermitis gestützt. Daraus ergebe sich, dass ein Großteil der Patienten mit Neurodermitis zusätzlich unter Allergien leide und bei Patienten mit atopischen Ekzemen neben den Hauterscheinungen in einigen Fällen Heuschnupfen oder Asthma aufträten. Überdies seien bei der Frage nach Erkrankungen der Haut in dem Klammerzusatz auch Allergien genannt worden. Die Kl. habe ihr allergisches Asthma nur der falschen Rubrik zugeordnet. Die ihr verordneten Antihistaminika “Zyrtec’ und “Terfenadin’ habe sie zwar nicht angegeben, indessen bei den Erläuterungen zur Frage 1.10 die Medikamente “Loragamma’ und “Dermatop’ genannt. Hierzu habe sie in der mündlichen Verhandlung erklärt, “Loragamma’ sei an die Stelle der beiden erstgenannten Medikamente getreten. Daher könne nicht von einem Verschweigen einer Medikation in Täuschungsabsicht ausgegangen werden.
[10] Die Antragsfrage nach Behandlungen und Untersuchungen in den letzten fünf Jahren habe die Kl. objektiv falsch beantwortet, indem sie die Asthmabehandlungen nicht mitgeteilt habe. Da sie aber angegeben habe, seit Geburt unter Neurodermitis zu leiden, und diese Krankheit nach dem “Wikipedia’-Auszug als nicht heilbar gelte, habe sich der Bekl. aufdrängen müssen, dass diese Frage unzutreffend beantwortet worden sein müsse. Wenn die Bekl. ungeachtet dessen einen klärenden Hinweis oder eine klärende Nachfrage unterlassen habe, könne sie sich nicht auf ihr Rücktritts- oder Anfechtungsrecht berufen.
[11] II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[12] 1. Das BG hat der Bekl. zu Unrecht die Arglistanfechtung und den Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung der Nachfrageobliegenheit versagt.
[13] a) Nach st. Rspr. des Senats muss der Versicherer beim künftigen VN nachfragen, wenn dieser bei Antragstellung ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht (Senat VersR 2008, 668 Rn 10 m.w.N.). Auf Grund solcher Angaben ist dem Versicherer eine ordnungsgemäße Risikoprüfung nicht möglich. Diese soll die Schaffung klarer Verhältnisse in Bezug auf den Versicherungsvertrag schon vor Vertragsschluss Gewähr leisten und darf deshalb nicht auf die Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalles verschoben werden (Senat a.a.O.; VersR 1993, 871 unter 3b m. Anm. Lorenz; BGHZ 117, 385, 388). Unterlässt der Versicherer eine ihm obliegende Rückfrage und sieht er insoweit von einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung ab, so ist es ihm im Weiteren nach Treu und Glauben verwehrt, gestützt auf die Unvollständigkeit der Angaben des VN wirksam vom Versicherungsvertrag zurückzutreten …
[14] b) Eine Nachfrageobliegenheit hat das BG mit nicht tragfähiger Begründung angenommen. Allein deshalb, weil die Kl. erläuternd zu der Frage 1.10 angegeben hatte, sie leide seit Geburt an Neurodermitis, musste es sich der Bekl. nicht aufdrängen, dass die Frage nach ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen in den letzten fünf Jahren unzutreffend beantwortet war. Eine Nachfrage obliegt dem Versicherer nur dann, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bisher von dem Versicherungsinteressenten erteilten Auskünfte nicht abschließend oder nicht richtig sein können und deshalb weitere Informationen für eine sachgerechte Risikoprüfung erforderlich sind (vgl. Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., §§ 16, 17 Rn 25; Knappmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, VersRHdb, § 14 Rn 61). So liegt der Fall hier nicht. Daraus, dass die Kl. im Zusammenhang mit ihrer Neurodermitis die Medikamente “Loragamma’ und “Dermatop’ und als behandelnden Arzt Dr. B genannt hatte, konnte die Bekl. lediglich ersehen, dass die Antragsfragen 3 und 6 in Bezug...