Durch starke Beugung und Überstreckung der Halswirbelsäule in Folge einer abrupten Krafteinwirkung bei dem Aufprall zwischen zwei Fahrzeugen (weshalb auch von Peitschenschlagverletzung oder Whiplash-Injury gesprochen wird) wird eine Weichteilverletzung der dortigen Bänder und Muskeln hervorgerufen, die zu einer Steilstellung der HWS und Verspannung der paravertebralen (neben der Wirbelsäule gelegenen) Muskulatur sowie Blockaden der HWS führen kann.
Teilweise kann es durch Einrisse der Bänder und Muskeln zu Einblutungen kommen, wobei solche als Erklärung für eine Latenz (Verborgenheit/Passivität) über Tage bis Wochen abklingender muskelkaterartigen Nackenschmerzen bzw. Nackensteife bisher nicht nachgewiesen wurden.
Eine unmittelbare Beteiligung des Gehirns im Sinne eines so genannten zervikozephalen Syndroms (reiner Nackenschmerz, der oft mit Ausstrahlungen in die Schulter und ohne neurologische Symptomatik verbunden ist) ohne ein zusätzliches Schädel-Hirn-Trauma ist unplausibel und durch methodisch strenge Untersuchungen nicht nachgewiesen.
Neben dem Begriff HWS-Distorsion werden in ärztlichen Attesten auch weitere Synonyme verwendet, wie HWS-Syndrom, HWS-Schleudertrauma, Zervikalsyndrom oder Beschleunigungstrauma.
Die Bezeichnungen können beliebig ausgetauscht werden, wobei letztendlich jedoch ausgedrückt werden soll, dass die HWS durch den Aufprall eine Peitschenbewegung erfahren hat, die zu einer Verletzung derselben geführt habe.
Prof. Dr. Castro vom Orthopädischen Forschungsinstitut Münster führt diesbezüglich aus, dass die Diagnose "Schleudertrauma" in den ärztlichen Attesten eigentlich nicht korrekt ist, da der Begriff allenfalls auf einen Unfallmechanismus deutet, ohne einen Verletzungsschaden bzw. verletzte Strukturen zu benennen.
Prof. Dr. med. Graw vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München verweist darauf, dass z.B. ein HWS-Syndrom meist als chronische Symptomatik bezeichnet wird, die durch von der HWS oder den HWS-Bereich betreffende Schmerzen geprägt ist, was noch keinen Zusammenhang zum Unfallgeschehen herleitet.
Weiter führt er aus, dass es sich entweder bei dem attestierten HWS-Syndrom um eine andere Bezeichnung für eine HWS-Distorsion handelt oder es wird eine chronische und dementsprechend bereits vor dem Unfall bestehende Schmerzsymptomatik berücksichtigt.
Schon hier ergibt sich, dass die angegebene Diagnose einer HWS-Distorsion mit den begrifflichen Facetten in ärztlichen Attesten ohne weitere Befundsdarstellung nicht geeignet ist, eine Verletzung nach einem Verkehrsunfall zu dokumentieren bzw. herzuleiten, da der Nachweis einer solchen Verletzung nicht isoliert über den Strukturschaden der HWS möglich ist, sondern es müssen auch die übrigen medizinisch bewertbaren Anknüpfungstatsachen ausgewertet werden.
1. 1. Wie kann eine HWS-Distorsion diagnostiziert werden?
Es ist zunächst eine genaueste Anamnese (Krankengeschichte) und eine komplette körperliche Untersuchung des Patienten unter Berücksichtigung neurologischer (Neurostatus) und psychischer (Psychostatus) Aspekte des Verletzungserlebens durch den behandelnden Arzt vorzunehmen. Des Weiteren ist der Ausschluss von knöchernen und ligamentären (bänderbezogenen) Verletzungen zu führen.
Röntgenaufnahmen können keinen objektiven Befund einer HWS-Distorsion erbringen, da es durch die unnatürliche Haltung des zu Untersuchenden bei der Aufnahmetechnik zur Darstellung sämtlicher Halswirbel im seitlichen Strahlengang dazu führen kann, dass die HWS steilgestellt abgebildet wird. Sie sind daher unspezifisch und als Einzelbefund bedeutungslos.
Dennoch wird die Steilstellung der HWS in vielen ärztlichen Attesten und vereinzelt auch in gerichtlich eingeholten Gutachten als Zeichen einer Verletzung gewertet und der Schluss einer Unfallbedingtheit gezogen.
Eine Steilstellung der HWS kann aber auch durch andere Ursachen hervorgerufen werden, wie eine ungünstige Liegeposition des Nächtens oder durch die so genannte "Zugluftproblematik".
Durch moderne bildgebende Verfahren wie die Kernspintomographie, lassen sich heute selbst kleinste strukturelle Läsionen anhand der Ödembilder, der Einblutungen und auch der Verletzung der Weichteile leicht identifizieren, so dass der Nachweis einer Verletzung der HWS hiermit geführt werden kann.
Die radiologische Untersuchung ist trotzdem erforderlich um knöcherne Verletzungen auszuschließen, die beim Gegenteil eine entsprechende Behandlung erfordert.
Auch Bewegungstests des Arztes mit dem Patienten stellen keinen objektiven Befund dar, da diese Tests nur bis zur Schmerzgrenze durchgeführt werden und sich diese Schmerzgrenze durch die subjektive Angabe des Patienten (Schmerzäußerung) definiert.