StPO § 44 S. 1
Leitsatz
Die Ungewissheit über die tatsächlich benötigte Postlaufzeit, die auch auf dem frühen Dienstschluss eines Gerichtes an einem Freitag bereits um 12.00 Uhr beruhen kann, geht nicht zu Lasten des Absenders einer Rechtsmittelschrift. Ist diese als "Einschreiben" aufgegeben worden und beruht ihr verspäteter Zugang darauf, dass das Postunternehmen am letzten Tage der Frist wegen des frühen Dienstschlusses keine den Eingang bestätigende Unterschrift mehr erlangen konnte, so hat der Absender diese Verzögerung nicht verschuldet. Ein Verschulden liegt auch nicht darin, dass er nicht die Versendungsform "Einwurf-Einschreiben" gewählt hatte.
(Leitsätze der Datenbank)
OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.4.2011 – 1 Ws 172/11
Sachverhalt
Das AG hat den Angekl. am 11.2.2011 zu einer Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urt. hat der Angekl. mit Schreiben v. 16.2.2011 Berufung eingelegt. Das am Donnerstag, dem 17.2.2011 um 16.38 Uhr in M per Einschreiben zur Post gegebene Schriftstück ist erst am Montag, dem 21.2.2011 beim AG eingegangen. Auf den Hinweis des AG v. 21.2.2011 auf den verspäteten Eingang hat der Angekl. mit seinem am 25.2.2011 eingegangenen Schreiben v. 23.2.2011 sinngemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Fristversäumnis beantragt. Das LG hat durch Beschl. v. 15.3.2011 diesen Antrag als unbegründet und zugleich die Berufung des Angekl. als unzulässig verworfen.
Auf die sofortige Beschwerde des Angekl. hebt das OLG den Beschl. des LG auf und setzt den Angekl. auf seine Kosten in den Stand vor Versäumen der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urt. des AG v. 11.2.2011 wieder ein.
2 Aus den Gründen:
„ … . Die gegen den Beschl. des LG v. 15.3.2011 eingelegte sofortige Beschwerde des Angekl. ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Angekl. war ohne sein Verschulden an der Einhaltung der am 18.2.2011 ablaufenden Berufungsfrist gehindert.
Das LG hat das Wiedereinsetzungsgesuch des Angekl. für unbegründet erklärt und ausgeführt, der Angekl. habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sein am 17.2.2011 – außerhalb des Ortsbestellverkehrs aufgegebenes – Schriftstück bereits am folgenden Tag beim Gericht eingehen werde. Hinzu komme, dass der Angekl. ein normales Einschreiben aufgegeben habe, das im Gegensatz zum so genannten Einwurf-Einschreiben nur per Übergabe zugestellt werde. Er habe deshalb nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Brief noch vor Behördenschluss, der üblicherweise um 12.00 Uhr ist, beim AG eingehen werde.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Angesichts der durch den Angekl. gewählten Übersendungsart, die eine Übergabe des Schriftstücks erfordert, und des auf der Berufungsschrift aufgebrachten Eingangsstempels (21.2.2011) ist allerdings davon auszugehen, dass das Schriftstück dem AG erst nach dem üblichen Zeitpunkt des Dienstschlusses am Freitag, dem 18.2.2011, um 12.00 Uhr hätte übergeben werden können. Ob ein Zustellversuch aber bereits am 18.2.2011 (nach 12.00 Uhr) – was angesichts der geringen Entfernung vom Aufgabe- zum Empfangsort von ca. 25 km naheliegt – oder erst am 19.2.2011 erfolgte, steht nicht fest. Eine solche Ungewissheit über die Postlaufzeit, die auch auf der innerbehördlichen Dienstzeitregelung beruhen kann, geht nicht zu Lasten des Angekl. (vgl. Brandenb. OLG, Beschl. v. 30.6.2005 – 2 Ws 94/05, bei juris). Deshalb kommt es vorliegend nicht darauf an, ob – wofür manches spricht – der Angekl. auf nur einen Tag Postlaufzeit vertrauen durfte (so SchleswigHolst. Landessozialgericht, Urt. v. 1.7.2010 – L 5 KR 46/09, bei juris, unter Berufung auf eine aktuelle Auskunft der Deutschen Post AG, wonach 95 % aller Briefe den Adressaten am nächsten Werktag nach der Einlieferung erreichen) oder mit einer Dauer von zwei Tagen für die Beförderung rechnen musste (so z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 Ss 1215/09, NStZRR 2010, 15).
Da sonach davon auszugehen ist, dass ein Eingang der Berufungsschrift noch am letzten Tag der Berufungsfrist möglich war, kann es dem Angekl. nicht als sein Verschulden zugerechnet werden, dass eine Annahme wegen des an diesem Tage bereits um 12.00 Uhr erfolgten Geschäftsschlusses beim AG Osnabrück nicht erfolgen konnte, zumal mit einem so frühen Ende der postalischen Erreichbarkeit einer Justizbehörde nicht ohne weiteres zu rechnen ist.
Der Zugang zu den Gerichten darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Insb. ist der Bürger berechtigt, eine ihm eingeräumte prozessuale Frist bis zu ihrer Grenze auszunutzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.2.1976 – 2 BvR 652/75, BVerfGE 41, 323, und v. 3.10.1979 – 1 BvR 726/78, BVerfGE 52, 203). Der Senat teilt deshalb nicht die Ansicht, dass ein Einsender den – wegen des vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist liegenden Geschäftsschlusses – verspäteten Zugang eines der persönlichen Übergabe bedürfenden Schriftstückes zu vertreten habe (anders etwa KG, Beschl. v. 2.12.1998 – 5 Ws 591/98, bei juris). Vielmehr ist der Angek...