"Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet."
Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Schadensersatz aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis i.H.v. 193,90 EUR gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, §§ 823, 249 BGB, § 115 Abs. 1 VVG, § 1 PftVG.
Bei der für § 17 Abs. 1 S. 2 StVG maßgeblichen Haftungsverteilung geht das Gericht von einer hälftigen Verursachung durch beide Fahrer aus. Im vorliegenden Fall haben beide Fahrer gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Den Verkehrsverstoß des Zeugen M (= Fahrer des Fahrzeugs des Bekl. zu 1) müssen sich die Bekl. zu 1) als Halterin bzw. die Bekl. zu 2) als Haftpflichtversichererin zurechnen lassen.
Soweit zum Teil in der Rspr. die Auffassung vertreten wird, dass diese Vorschrift nicht dem Schutz des aus einer gegenüberliegenden Parklücke ausparkenden dient (LG Braunschweig, Urt. v. 29.6.2010 – 7 S 490/09, juris Rn 31; LG Saarbrücken, Urt. v. 9.7.2010 – 13 S 61/10; LG Saarbrücken, Urt. v. 27.5.2011 – 13 S 25/11, juris Rn 12) schließt sich das Gericht dieser Auffassung nicht an (wie hier: AG Bad Segeberg, Urt. v. 6.10.2011 – 17 C 100/11, juris Rn 21; AG Kehl, Urt. v. 9.9.2011 – 4 C 59/11 juris Rn 17; LG Kleve, Urt. v. 11.11.2009 – 5 S 88/09, juris Rn 13; LG Bad Kreuznach, Urt. v. 25.7.2007 – 1 S 29/07, juris Rn 8).
Nach Ansicht des Gerichts ist diese Rspr. schon nicht auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da sich dieser nicht auf einem Supermarktparkplatz, wie die vom LG Saarbrücken bzw. LG Braunschweig zu beurteilenden Fälle angespielt hat, sondern auf einer öffentlichen Straße.
Auch Hentschel/König/Dauer, die vom LG Saarbrücken zur Untermauerung der Auffassung, dass § 9 Abs. 5 StVO im ruhenden Verkehr nicht gilt, zitiert werden, wollen § 9 Abs. 5 StVO in diesem Zusammenhang nur auf Parkplätzen und in Parkhäusern bzw. bei Verkehrsunfällen zwischen einem rückwärts in einer Parklücke Rangierenden und einem anderen parkenden Auto zur Anwendung bringen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., München 2011, § 9 StVO, Rn 51).
Die Argumentation gegen eine Anwendung des § 9 Abs. 5 StVO, dass nämlich auf Parkplätzen und in Parkhäusern kein fließender Verkehr stattfindet und ein die Fahrstreifen in Parkhaus oder auf dem Parkplatz Befahrender immer vorsichtig und bremsbereit fahren muss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., München 2011, § 9 StVO, Rn 51), ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Hier findet auf der Straße unmittelbar fließender Verkehr statt und mit dem Einfahren auf die Straße beginnt ein zuvor zum ruhenden Verkehr gehörender Parkplatznutzer zum fließenden Verkehr zu gehören.
Eine höhere Haftungsquote der Bekl. hätte der Kl. nur durchsetzten können, wenn es ihm gelungen wäre zu beweisen, dass er zum Unfallzeitpunkt bereits längere Zeit gestanden hat.
Denn die mit der Rückwärtsfahrt typischerweise verbundenen Gefahren, die den Fahrzeugführer gem. § 9 Abs. 5 StVO dazu verpflichten, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, enden nicht sogleich mit dem Stillstand des Fahrzeugs. Anderenfalls hinge die Haftung von der Frage ab, ob es dem Rückwärtsfahrenden zufällig noch gelingt, sein Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zum Stillstand zu bringen (AG Herne, Urt. v. 17.2.2010 – 20 C 389/09, juris Rn 21; LG Kleve, Urt. v. 11.11.2009 – 5 S 88709, juris Rn 13, LG Bad Kreuznach a.a.O).
Dieser Beweis ist dem Kl. nicht gelungen. Der Kl. hat aber selbst nur behauptet, zum Kollisionszeitpunkt gestanden zu haben, dass er bereits längere Zeit gestanden hat, ergibt sich nicht mal aus seinem Vortrag. Und auch der Sachverständige führt aus, dass sich im Bereich der aufgerissenen Stoßstangenschale des Beklagtenfahrzeugs horizontal gezeichnete Spuren finden, welche sich auf einen relativ engen Bereich konzentrieren. Diese Spuren zeigen nach den Ausführungen des Sachverständigen eine horizontale Bewegung im Kontakt an, was tendenziell für eine Bewegung des Kl.-Pkw spräche. Insgesamt konnte der Sachverständige aber nicht einmal feststellen, ob der Kl. überhaupt zum Unfallzeitpunkt gestanden hat.
Aber auch die Bekl. vermochten nicht zu beweisen, dass ihr Fahrzeug bereits längere Zeit zum Stillstand gekommen war. Zwar haben sowohl die Bekl. zu 1) als auch der Zeuge M angegeben, dass der Zeuge bereits schon vom Rückwärtsgang in den Vorwärtsgang geschaltet hatte, als es zur Kollision kam.
Allerdings genügt dies nach Auffassung des Gerichts nicht, um die Gefährdungen, die durch das Rückwärtsfahren gesetzt werden zu neutralisieren. Denn der Vorgang zwischen Beendigung der Rückwärtsfahrt und umschalten auf den Vorwärtsgang ist im üblichen so kurz, dass man nicht von einem längeren Stillstand sprechen kann. Und auch der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass sich am Beklagtenfahrzeug Kontaktspuren in horizontaler Richtung finden, was nach Auskunft des Sachverständigen auf eine Bewegung des Bekl.-Pkw hinweist. Aber auch hier konnte der Sachverständige nicht sicher sagen, ob das Beklagtenfahrzeug in Bewegung war oder stand, geschweige...