StVG § 17 Abs. 1 S. 2; StVO § 9 Abs. 5
Leitsatz
Parken zwei Fahrer mit ihren Kfz rückwärts ausfahrend aus ihren Parkplätzen in die Fahrbahnen aus und stoßen sie zusammen, ist von einer hälftigen Verursachung des Unfalls wegen beiderseitigen Verstoßes gegen § 9 Abs. 5 StVO auszugehen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
AG Darmstadt, Urt. v. 29.11.2012 – 316 C 140/11
Sachverhalt
Die Kfz der Parteien waren durch die Fahrer auf gegenüberliegenden Stellplätzen der Straße abgestellt. Beim rückwärts Ausparken beider Fahrzeuge kam es aus zwischen den Parteien streitigen Gründen zu einem Zusammenstoß.
Der Kl. hat den Ersatz der Reparaturkosten der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden, die Auslagenpauschale und die Erstattung der Kosten des Reparaturkostenvoranschlags mit der Klage geltend gemacht. Er behauptet, sein Fahrzeug vor dem Zusammenstoß noch auf dem Bordstein stehend angehalten zu haben, um dem rückwärtigen Verkehr den Vorrang einzuräumen. Das Fahrzeug des Bekl. zu 1) sei in diesem Augenblick rückwärts aus der gegenüberliegenden Parklücke gefahren und auf das stehende Fahrzeug des Kl. geprallt. Die Bekl. haben abweichend dazu angegeben, das Fahrzeug des Bekl. zu 1), das bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversichert ist, habe zum Zeitpunkt der Kollision vollständig schräg zur Fahrbahn auf dieser gestanden, als der Kl. beim Rückwärtsfahren auf das stehende Fahrzeug des Bekl. zu 1) gefahren sei. Dabei habe sich die Anhängerkupplung des Fahrzeugs des Kl. in die Stoßstange des Fahrzeugs der Bekl. gebohrt.
Das AG hat Beweis erhoben durch Vernehmung eines Zeugen. Eine informatorische Anhörung der Bekl. zu 1) konnte durchgeführt werden, die informatorischen Anhörung des Kl. war nicht möglich, weil der Kl. trotz ordnungsgemäßer Zustellung der Ladung zum Termin nicht Folge leistete. Weiterhin hat das Gericht Beweis über den Unfallhergang und die Schadenshöhe durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens erhoben, das der Sachverständige mündlich erläutert hat.
Das AG ging von einer hälftigen Haftungsverteilung aus und kürzte den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten von 1.500,11 EUR netto einschließlich der weiteren Ansprüche ohne Berücksichtigung der Haftungsquote auf 387,80 EUR.
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet."
Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Schadensersatz aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis i.H.v. 193,90 EUR gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, §§ 823, 249 BGB, § 115 Abs. 1 VVG, § 1 PftVG.
Bei der für § 17 Abs. 1 S. 2 StVG maßgeblichen Haftungsverteilung geht das Gericht von einer hälftigen Verursachung durch beide Fahrer aus. Im vorliegenden Fall haben beide Fahrer gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Den Verkehrsverstoß des Zeugen M (= Fahrer des Fahrzeugs des Bekl. zu 1) müssen sich die Bekl. zu 1) als Halterin bzw. die Bekl. zu 2) als Haftpflichtversichererin zurechnen lassen.
Soweit zum Teil in der Rspr. die Auffassung vertreten wird, dass diese Vorschrift nicht dem Schutz des aus einer gegenüberliegenden Parklücke ausparkenden dient (LG Braunschweig, Urt. v. 29.6.2010 – 7 S 490/09, juris Rn 31; LG Saarbrücken, Urt. v. 9.7.2010 – 13 S 61/10; LG Saarbrücken, Urt. v. 27.5.2011 – 13 S 25/11, juris Rn 12) schließt sich das Gericht dieser Auffassung nicht an (wie hier: AG Bad Segeberg, Urt. v. 6.10.2011 – 17 C 100/11, juris Rn 21; AG Kehl, Urt. v. 9.9.2011 – 4 C 59/11 juris Rn 17; LG Kleve, Urt. v. 11.11.2009 – 5 S 88/09, juris Rn 13; LG Bad Kreuznach, Urt. v. 25.7.2007 – 1 S 29/07, juris Rn 8).
Nach Ansicht des Gerichts ist diese Rspr. schon nicht auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da sich dieser nicht auf einem Supermarktparkplatz, wie die vom LG Saarbrücken bzw. LG Braunschweig zu beurteilenden Fälle angespielt hat, sondern auf einer öffentlichen Straße.
Auch Hentschel/König/Dauer, die vom LG Saarbrücken zur Untermauerung der Auffassung, dass § 9 Abs. 5 StVO im ruhenden Verkehr nicht gilt, zitiert werden, wollen § 9 Abs. 5 StVO in diesem Zusammenhang nur auf Parkplätzen und in Parkhäusern bzw. bei Verkehrsunfällen zwischen einem rückwärts in einer Parklücke Rangierenden und einem anderen parkenden Auto zur Anwendung bringen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., München 2011, § 9 StVO, Rn 51).
Die Argumentation gegen eine Anwendung des § 9 Abs. 5 StVO, dass nämlich auf Parkplätzen und in Parkhäusern kein fließender Verkehr stattfindet und ein die Fahrstreifen in Parkhaus oder auf dem Parkplatz Befahrender immer vorsichtig und bremsbereit fahren muss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., München 2011, § 9 StVO, Rn 51), ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Hier findet auf der Straße unmittelbar fließender Verkehr statt und mit dem Einfahren auf die Straße beginnt ein zuvor zum ruhenden Verkehr gehörender Parkplatznutzer zum fließenden Verkehr zu gehören.
Eine höhere Haftungsquote der Bekl. hätte der Kl. nur durchsetzten können, wenn es ihm gelungen wäre zu beweisen, dass er zum Unfallzeitpunkt bereits längere Zeit gestanden hat.
Denn die mit der Rückwä...