1. Dass gesetzliche Bestimmungen das Tragen von Motorradschuhen nicht vorschreiben, vielmehr nur das Tragen von Motorradhelmen vorgeschrieben ist (§ 21a Abs. 2 StVO), erlaubt nicht die Schlussfolgerung, dass der Gesetzgeber das unterlassene Tragen der nicht erwähnten Motorradschuhe nicht als vorwerfbares Mitverschulden ansieht. Das würde verkennen, dass auch ohne Rechtsverstoß des Verletzten er eine Kürzung seines Schadensersatzanspruchs hinnehmen muss, wenn er seine eigenen Interessen dadurch missachtet, dass er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die erforderlich und zumutbar ist, um sich selbst vor Schäden zu bewahren (vgl. OLG Saarbrücken NZV 2008, 202; OLG Düsseldorf NZV 2007, 614). Die Entwicklung der Rspr. hinsichtlich der Verneinung eines mitwirkenden Verschuldens hat mit der vorläufigen Klärung der Frage eingesetzt, ob das Nichttragen eines Fahrradhelms als Mitverschulden anzusehen ist (vgl. OLG Saarbrücken a.a.O., OLG Düsseldorf a.a.O.). Obwohl beide Gerichte von einer Erhöhung der allgemeinen Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen ausgingen, verneinten sie eine allgemeine Überzeugung von Radfahrern dazu, dass zu dem üblichen und allgemein verbreiteten Sorgfaltsstandard von erwachsenen Radfahrern das Tragen von Fahrradhelmen gehöre. Nur für Radfahrer, die sportlich besonders ambitionierten Gebrauch von dem Fahrzeug machten oder bei denen eine persönliche Disposition mit erhöhten Gefährdungspotential bestehe, treffe bei Unfallverletzungen, die bei einem Tragen des Helmes nicht oder nicht in diesem Umfang eingetreten wären, der Einwand des mitwirkenden Verschuldens (vgl. schon OLG Hamm NZV 2002, 129; OLG Nürnberg DAR 1999, 507).

2. Damit wird zum Maßstab der Prüfung des mitwirkenden Verschuldens die – jedenfalls schwer feststellbare – allgemeine Überzeugung von Radfahrern gemacht – nicht dagegen die Beurteilung jedenfalls der Mehrheit von Unfallmedizinern. Ob es überzeugend ist, dass die praktische Vernunft nicht die Pflicht auch zum Tragen geeigneter Motorradschuhe gebietet – damit keine nicht erreichbare "maximale Sicherheitsanforderungen" (vgl. OLG Saarbrücken a.a.O. zur verneinten Helmtragepflicht) gestellt werden – erscheint zweifelhaft. Immerhin ist ein Motorradfahrer aufgrund der Instabilität seines Fahrzeugs im Straßenverkehr besonders gefährdet, so dass nicht nur ein Tragen von Schutzkleidung an den Beinen üblicher Sorgfaltsstandard ist (vgl. OLG Brandenburg NJW-RR 2010, 539), sondern auch geeignetes Schuhwerk zu tragen ist, wobei dessen Auswahl durch maßgebliche Verbände erfolgen kann (vgl. auch OLG Brandenburg a.a.O.). Im übrigen kann darauf vertraut werden, dass die allgemeine Überzeugung bei Radfahrern dahin gehen wird, dass ein Helmtragen eine im eigenen Interesse bestehende Sorgfaltsverpflichtung ist, und für Motorradfahrer nicht nur für den Bereich der Beine, sondern auch der Füße Schutzmaßnahmen zu treffen sind. Die Übernahme der Erkenntnisse von Unfallmedizinern über die Sorgfaltspflichten durch die Mehrheit der Radfahrer und Motorradfahrer ist jedenfalls überfällig.

3. Allerdings ist mit dem Nichttragen von Motorradschuhen, wenn ihre Anlegung als geschuldeter Sorgfaltsstandard angesehen wird, im Falle des Eintretens von Unfallverletzungen in diesem Bereich keinesfalls – im Wege des Anscheinsbeweises – davon auszugehen, dass ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten vorliegt. Vielmehr ist die Ursächlichkeit des unterbliebenen Tragens der Motorradschuhe für den Eintritt oder jedenfalls den Umfang der Verletzung zu prüfen. Dabei sind die Grundsätze zur Prüfung der Ursächlichkeit unterbliebenen Anschnallens des Sicherheitsgurtes heranzuziehen (vgl. die Anmerkung zu BGH zfs 2012, 496).

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 8/2013, S. 436 - 437

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