AKB 2003 § 12 (1) II. e
Leitsatz
Ist nicht auszuschließen, dass die Innenschulter des Reifens eines Sportwagens durch Überfahren eines niedrigen Bordsteins in einem ungünstigen Winkel beschädigt wurde und dadurch der Reifen später bei hoher Geschwindigkeit platzte, kann der VN den Versicherungsfall Unfall nicht nachweisen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Hamm, Urt. v. 15.11.2013 – 20 U 83/13
Sachverhalt
Der Ehemann der Kl., Herr Q, befuhr am 27.6.2010 mit der Kl. als Beifahrerin mit dem versicherten Fahrzeug die BAB 31 in Fahrtrichtung B mit sehr hoher Geschwindigkeit. In der Nähe von L platzte der hintere linke Reifen des Pkw, der ein Herstellungsdatum der Streithelferin aus der 50. Kalenderwoche des Jahres 2000 trägt. Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von ca. 43.700 km. Die Bekl. ersetzte nach Einholung von Gutachten Schäden, die durch das Aufsetzen des Fahrzeugs nach dem Platzen des Reifens entstanden waren. Sie lehnte jedoch die Regulierung solcher Schäden ab, die vor dem Aufsetzen durch Teile des beschädigten Reifens entstanden waren.
Die Kl. hat behauptet, zu dem Schaden sei es gekommen, als die Insassen plötzlich einen Schlag verspürt und Sekundenbruchteile später durch ein heftiges Geräusch erschreckt worden seien. Es sei praktisch ausgeschlossen, dass ein Reifen ohne äußere Ursache platze. Wegen der hohen Geschwindigkeit sei das Platzen schon durch ein Schlagloch oder andere Hindernisse wie eine kleine Schraube oder andere Fremdkörper erklärlich. Das Alter der Reifen sei irrelevant gewesen. Ihr Ehemann habe vor der Fahrt noch den Luftdruck der Reifen kontrolliert. Jedenfalls seien sämtliche Schäden durch das Aufsetzen des Fahrzeugs auf dem Boden entstanden.
2 Aus den Gründen:
" … Die zulässige Berufung der Kl. hat in der Sache keinen Erfolg. Denn sie hat nicht bewiesen, dass die bislang nicht regulierten Schäden am Fahrzeug ihres Ehemannes auf einem Unfall i.S.d. Versicherungsbedingungen beruhen."
1. Der Versicherungsschutz umfasst gem. § 12 (1) II. e) AKB 7/2003 Beschädigungen “durch Unfall, d.h. durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis. Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind keine Unfallschäden.‘
AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (BGH zfs 2013, 213). Hinsichtlich des Unfallbegriffs verdeutlicht die Voraussetzung “von außen‘ dem durchschnittlichen VN, dass der Gegenstand, von dem die auf das versicherte Fahrzeug wirkende mechanische Gewalt ausgehen muss, nicht Teil des Fahrzeugs selbst sein darf. Sofern sich ein Teil eines versicherten Fahrzeugs löst, kommt es hinsichtlich der Frage, wie lange ein solches noch nicht als von außen auf das Fahrzeug wirkender, fahrzeugfremder Gegenstand anzusehen ist, auf die Verkehrsanschauung des täglichen Lebens an. Dabei ist ein Vorgang, bei dem sich ein Fahrzeugteil während der Fahrt löst, als einheitlicher Lebensvorgang anzusehen, der zumindest noch andauert, soweit das Fahrzeug unmittelbar im Anschluss an die Ablösung des Teils von diesem getroffen und beschädigt wird (BGH zfs 2013, 454). Einwirkungen von außen können auch in der Fahrbahnbeschaffenheit oder den Witterungsverhältnissen liegen (BGH zfs 2013, 213). “Betriebsschäden‘ sind solche, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen. Betriebsschäden sind ferner Schäden, die zwar auf einer Einwirkung mechanischer Gewalt beruhen, aber zum normalen Betrieb des Kfz gehören. Ob ein Ereignis, das die wesentlichen Merkmale eines Unfalls aufweist, als Betriebsschaden oder als Unfallschaden anzusehen ist, hängt entscheidend von der Verwendung des Fahrzeugs ab. Wird ein Fahrzeug nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb bestimmten Risiken ausgesetzt, so handelt es sich bei den daraus entstehenden Fahrzeugschäden im Zweifel um Betriebsschäden (BGH VersR 1969, 32).
2. Unter Berücksichtigung dieses Umfanges des Versicherungsschutzes hat die Kl. nicht bewiesen, dass die noch im Streit stehenden Schäden durch einen Unfall verursacht worden sind.
a) Das LG hat auf Basis der überzeugenden und nachvollziehbaren Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. T festgestellt, dass die noch im Streit stehenden Schäden durch das Rotieren des defekten Reifens entstanden sind. Diese Feststellung wird mit der Berufung nicht angegriffen.
b) Die Kl. vermag den Beweis, dass der Reifen aufgrund eines Unfalles geplatzt ist, nicht zu führen. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Platzen des Reifens durch einen Betriebsvorgang verursacht worden ist. Wegen der möglichen Ursachen des Platzens des Reifens wird zunächst auf die umfangreiche Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen Prof. T im Rahmen der angegriffenen Entscheidung Bezug geno...