Die Rechtsprechung beurteilt die Erfolgsaussichten des Einwands eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) danach, wie extrem und gefährlich die Witterung im Schadenszeitpunkt war. Maßgeblich sind insoweit immer die Umstände des konkreten Einzelfalls. Zu beachten ist allerdings nach der Rechtsprechung des BGH, dass Mitverschulden regelmäßig die Haftung des Sicherungspflichtigen nicht völlig entfallen lassen wird.
I. Alleinhaftung des Geschädigten
Nur im Ausnahmefall kann ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender Verursachungsbeitrag des Geschädigten angenommen werden. Das Handeln des Geschädigten muss von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet gewesen sein. Derartiges Verhalten ist beispielsweise gegeben, wenn sich ein Fußgänger auf eine erkennbar spiegelglatte Eisfläche begibt, um sein Fahrzeug von einem Gaststättenparkplatz zu holen, ohne vorher den Gastwirt zu bitten, die Eisfläche zu bestreuen. Das LG Oldenburg nahm ein so weit überwiegendes Mitverschulden der Geschädigten an, weil diese den Gehweg weiter beschritten hatte, obwohl sie erkannte, dass der Sohn des Verkehrssicherungspflichtigen gerade mit der Räumung beschäftigt und die Räumung noch nicht abgeschlossen war. Sie forderte ihn nicht zur Streuung auf.
Das LG München I bejahte eine alleinige Mithaftung des Geschädigten, der einen erkennbar vereisten Ladehof betreten hatte. Es führte aus:
"Auf die durch winterliche Witterung entstehenden Gefahren muss sich grundsätzlich jeder Verkehrsteilnehmer selbst einstellen und im eigenen Interesse der Schadensverhütung die Maßnahmen ergreifen, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten sind. Dazu gehört es auch, erkannte, besondere Gefahren nach Möglichkeit zu umgehen. … Vorliegend kannte der Kläger die Schadensneigung seines Verhaltens. Er hätte sie umgehen können, … . Die gezielte Entscheidung des Klägers, trotz der erkannten Gefahrenlage den Ladehof in der geschehenen Weise zu begehen, hat somit die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts derart durchgreifend begründet, dass auch eine eventuelle Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten … vollständig hinter dem Verursachungsbeitrag des Klägers zurücktreten müsste."
Nicht ausreichend für eine alleinige Haftung ist, wenn sich die Geschädigte ohne zwingende Notwendigkeit zu Fuß in die Innenstadt begeben hat, obwohl ihr bekannt war, dass aufgrund des vorangegangenen Schneefalls eine erhöhte Glättegefahr und damit auch eine erhöhte Sturzgefahr bestand. Ein entsprechendes Urteil des OLG Hamm wurde vom BGH aufgehoben und zurückgewiesen.
II. Übrige Fälle des Mitverschuldens
Auf winterliche Witterungsverhältnisse müssen sich die Verkehrsteilnehmer grundsätzlich einstellen.
Bei der Abwägung der jeweiligen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge des Geschädigten und des Verantwortlichen ist zu berücksichtigen, dass Verkehrssicherungspflichtverletzungen nur in dem Maße zu einer Haftung führen können, in welchem sich für den Geschädigten ein nicht anders abzuwendendes und für ihn nicht erkennbares allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Bei Gefahren, welche jedem vor Augen stehen und vor denen man sich ohne weiteres selbst schützen kann, sind die Anforderungen an die Gefahrsicherung herabgesetzt. Insbesondere besteht kein allgemeines Gebot, andere vor Selbstgefährdung zu schützen. Wer sich sehenden Auges auf eine erkennbar glatte Fläche begibt, muss eine Mithaftung von mindestens ⅔ akzeptieren.
Nach der Ansicht des LG Neuruppin liegt ein Mitverschulden in Höhe von 50 % vor, wenn ein sorgfältig handelnder Mensch Anhaltspunkte für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung hätte rechtzeitig erkennen können und er die Möglichkeit besaß, sich auf die Gefahr einzustellen.
Dementsprechend führt es zu einem Mitverschulden, wenn zu erkennen ist, dass eine Gehwegfläche nach einem Schneefall weder von Eis noch von Schnee geräumt noch mit abstumpfenden Mitteln bestreut wurde. In diesem Fall hat der Benutzer des Weges Anlass zu gesteigerter Aufmerksamkeit und Vorsicht. Kommt er beim Betreten des Wegs zu Fall, so spricht dies auch nach Ansicht des OLG Bremen in der Regel dafür, dass er die gebotene Vorsicht außer Acht gelassen hat und ihm daher ein Mitverschulden anzurechnen ist.
Das OLG Brandenburg bewertete ein Mitverschulden der Klägerin mit 40 %, nachdem diese den Arm ihres Ehemannes losgelassen hatte, um entgegenkommenden Fußgängern auszuweichen. Den Arm des Ehemannes hatte die Klägerin zuvor als Stütze gewählt, um einen Sturz zu verhindern. Diese Stütze hatte die Klägerin freiwillig aufgegeben.
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