Es kommt nicht von ungefähr, dass so viele wegen Verstoßes gegen §§ 1, 6 PflVG geführte Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO (durch die StA) oder nach §§ 153, 153a StPO (durch die StA oder Gerichte) eingestellt werden. Oft ist der Tatnachweis schwer zu führen. Es gibt aber auch viele Fälle – und der durch das OLG Celle entschiedene fällt darunter –, bei denen sich das Verhalten des Angekl. gewissermaßen intuitionswidrig als straflos erweist. Nach den §§ 1, 6 PflVG macht sich nämlich nicht bereits strafbar, wer ein versicherungspflichtiges Kfz führt (oder dessen Gebrauch gestattet), für das kein Pfichtversicherungsschutz besteht. Strafbarkeit setzt vielmehr voraus, dass für das Fahrzeug entweder von vornherein kein Versicherungsvertrag bestand oder ein bestehender Vertrag durch Kündigung, Rücktritt, Anfechtung oder in sonstiger Weise beendet wurde.
Ob ein Versicherungsvertrag bestand, bemisst sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen. In den Augen des Strafrechtlers führt dies insb. bei zwei Konstellationen zu Verwerfungen, nämlich wenn der Versicherer infolge nicht rechtzeitiger Zahlung der Erstprämie vom Vertrag zurücktritt (§ 37 Abs. 1 VVG) und wenn er wegen Nichtzahlung einer Folgeprämie kündigt (§ 38 Abs. 3 VVG). Insb. die zivilrechtlichen – Achtung Wortspiel – Fiktionen führen zu Friktionen. Im Fall der nicht gezahlten Erstprämie etwa entfällt die vorläufige Deckung rückwirkend (Nr. B.2.4 AKB, § 9 S. 2 KfzPflVV), so dass Versicherungsschutz objektiv und dem Täter regelmäßig vorwerfbar nicht bestand. Straflos bleibt er gleichwohl, weil die zivilrechtliche Rückwirkungsfiktion – das nachträgliche Entfallen des Versicherungsschutzes – bei der strafrechtlichen Würdigung unberücksichtigt bleibt (§ 2 Abs. 1 StGB).
Mit einem ähnlichen Fall straflosen Rechtsmissbrauchs hatte es das OLG Celle hier zu tun. Allerdings war das Kfz nach insoweit allein maßgeblichen zivilrechtlichen Grundsätzen haftpflichtversichert. Der Angekl. hatte nämlich die Versicherungsbestätigung (und damit die Zusage vorläufiger Deckung) in der Tasche. Alles, was er dann machte, verstieß aber gegen die mit dem Versicherer getroffenen Vereinbarungen. Denn nach den AKB 2008 bezog sich der vorläufige Versicherungsschutz nur auf Zulassungsfahrten. Dass der Angekl. um 22.42 Uhr nicht zur Zulassungsstelle unterwegs war, ist offensichtlich, und über die Zulassungsbescheinigung Teil II, ohne welche die Zulassungsstelle kein (neues) amtliches Kennzeichen zuteilen oder eine Halteränderung vornehmen konnte, verfügte er auch nicht. Diese Umstände hatte das LG zum Anlass genommen, Versicherungsschutz zu verneinen und die Fahrt als strafbar zu bewerten. Damit ist es aber übers Ziel hinausgeschossen. Denn § 6 PflVG ist kein Delikt mit überschießender Innentendenz: Die Fahrt wird nicht dadurch zur Straftat, dass der Fahrer ein anderes Fahrziel hat als die Zulassungsstelle. Vielmehr erscheint die Fahrt – nur – als versicherungsvertragswidrige Nutzung des Kfz. Im Innenverhältnis der Versicherungsvertragsparteien können derartige Vertragsverletzungen die Möglichkeit des Regresses, ggf. auch vollständige Leistungsfreiheit (§ 117 VVG mit Einschränkungen im Außenverhältnis nach II) begründen. Als bloße Obliegenheitsverletzung führt das Verhalten jedenfalls nicht zur Beendigung des Versicherungsvertrags. Allein dies aber wäre nach dem Gesetzeswortlaut strafbar.
Immer wieder wird § 6 PflVG weiter verstanden. Nicht selten klagt die StA Vorgänge an, die sich bei genauerem Hinsehen als vorsätzliche und mitunter dreiste Vertragsverletzungen darstellen. Diese Unbotmäßigkeiten sind aber nicht einmal dann zwingend strafbar, wenn sie im Innenverhältnis der Versicherungsvertragsparteien zur Leistungsfreiheit führen. Forensisch erforderlich ist vielmehr die positive Feststellung, dass zur Zeit der Fahrt kein Versicherungsvertrag bestand. Das ergibt sich aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 6 PflVG, aber auch aus dem sozialen Schutzzweck des PflVG. Indem es nämlich dafür sorgt, dass die Versicherung für den Halter, den Eigentümer und jeden Fahrer eintritt, schützt es nicht vorrangig die Versicherungen, sondern eben jene Personen, die im Straßenverkehr einen Körper-, Sach- oder Vermögensschaden erlitten haben.
RiKG Urban Sandherr, Berlin
zfs 8/2014, S. 451 - 453