"… II. Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerde des Landratsamtes B. gegen den Beschluss des AG vom 22.6.2018 zulässig ist. Gem. § 71 Abs. 2 Nr. 2 OWiG kann das AG zur besseren Aufklärung der Sache von Behörden oder sonstigen Stellen die Abgabe von Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse verlangen. Dies hat das AG durch den angefochtenen Beschluss dementsprechend getan. Die vom Gericht nach § 72 Abs. 2 S. 1 OWiG getroffenen Anordnungen unterliegen als Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, in entsprechender Anwendung von § 305 S. 1 StPO grds. nicht der Beschwerde. Dies gilt nach § 305 S. 2 StPO allerdings nicht für Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden. Es kann hier aber letztlich dahingestellt bleiben, ob die Bußgeldbehörde, die am gerichtlichen Verfahren nicht unmittelbar beteiligt ist, aber von der Anordnung des Gerichts betroffen wird, als “dritte Person‘ i.S.v. § 305 StPO anzusehen ist, denn ihre Beschwerde ist jedenfalls aus Sicht der Kammer nicht begründet."
Ob generell ein Einsichtsrecht in die kompletten Messdaten einer Messreihe besteht, ist in der Rspr. umstritten. Von der nunmehr wohl herrschenden Rspr. wird dies bejaht (vgl. AG Wittlich, Beschl. v. 6.8.2018 – 36b OWi 8011 Js 21030/18 jug, BeckRS 2018, 18700; AG Detmold, Beschl. v. 19.6.2018 – 4 OWi 779/18, BeckRS 2018, 13955; AG Neumünster, Beschl. v. 17.5.2018 – 224 OWi 109/18, BeckRS 2018, 13759; AG Daun, Beschl. v. 4.4.2018 – 4a OWi 28/18, BeckRS 2018, 5541; AG Saarburg, Beschl. v. 1.2.2018 – 8 OWi 1/18, BeckRS 2018, 3969; LG Trier, Beschl. v. 14.9.2017 – 1 Qs 46/17, juris; LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.9.2015 – 82 Qs 112/15, BeckRS 2015, 20027). Ein Recht auf Einsicht – auch in die gesamte Messserie – wird dabei aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens hergeleitet. Zur Begründung wird meist ausgeführt, dass bei Geschwindigkeitsmessungen mit standardisierten Messverfahren durch die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt (PTB) im Wege eines antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt worden sei. Der Betr. müsse daher, wenn er die Richtigkeit der Messung angreifen wolle, im jeweiligen Verfahren konkrete Anhaltspunkte darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen. Ein solcher dezidierter Vortrag sei dem Betr. jedoch nur dann möglich, wenn er – bzw. sein Verteidiger – auch Zugang zu den entsprechenden Messunterlagen habe. Das LG Trier führt aus, dass nicht verlangt werden könne, dass bereits vor Einsicht in die Messserie konkrete Mängel vorgetragen werden, da sich bestimmte Fehlerquellen erst aus einem Vergleich der eigenen Falldatei mit den anderen im Messzeitraum durchgeführten Messungen ergeben können. Zudem könnten ggf. erst anhand der weiteren Falldaten der Messreihe Fehler aufgedeckt werden, die allen Messungen der Messserie anhaften, aber aus der konkreten Messung beim Betr. nicht ersichtlich seien (LG Trier a.a.O.). Datenschutzrechtliche Bedenken werden mit der Begründung verneint, dass zwar die Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe auch die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer beträfe, dieser Eingriff jedoch hinzunehmen sei. Der Anspruch auf ein faires Verfahren sei insoweit höherrangig, zumal es sich um einen relativ geringfügigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter handele und mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie zwar Foto und Kennzeichen übermittelt würden, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift.
Die Gegenansicht lehnt eine Herausgabe der gesamten Messserie meist mit der Begründung ab, dass nicht tatsachenfundiert vorgetragen worden sei, warum die gesamte Messreihe benötigt werde und dabei in grundrechtlich geschützte Rechte Dritter eingegriffen werden solle (vgl. AG Schwelm, Beschl. v. 27.2.2018 – 64 OWi 66/18, BeckRS 2018, 4119; AG Kassel, Beschl. v. 13.2.2018 – 386 OWi 58/18, BeckRS 2018, 2191; AG Aalen, Beschl. v. 24.8.2017 – 12 OWi 204/17, BeckRS 2017, 128112 sowie entsprechend OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.8.2016 in NStZ-RR 2016, 320).
Die Kammer schließt sich der vorgenannten wohl herrschenden Rspr. in vorliegendem Fall an, zumal es hier nicht – wie in den vorgenannten Entscheidungen – um die Herausgabe von Daten der Messserie an den Betr. bzw. seinen Verteidiger oder an einen von ihm beauftragten “Privatgutachter‘ geht, sondern um die Herausgabe an einen vom Gericht bestellten “neutralen‘ Sachverständigen, der dem Gericht gegenüber, wie sich aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses ergibt, mitgeteilt hat, dass es ohne Beiziehung der gesamten Messreihe nicht möglich sei, eine sichere Aussage darüber zu treffen, ob es sich bei einer Messung um ein standardisiertes Messverfahren handele oder nicht. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich das Gericht mit Einwänden gegen die Geschwindigkeitsmessung auseinanderzusetzen hat und ob es einem Antrag des Betr. auf Einsicht in die komplette Messreihe nachkommen muss, um...