Für den Rechtsanwalt stellt sich in der Praxis häufig die Frage, ob er gegenüber seinem Mandanten von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen kann, wenn sein Mandant die Anwaltsvergütung, die nicht notwendig bereits fällig sein muss (s. Offermann-Burckart, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 50 Rn 80 m.w.N.), nicht zahlt. Das Thür. OLG hat sich hier mit einem bisher höchst umstrittenen Problem befasst und dies im Sinne der Anwaltschaft gelöst. Nachfolgend sollen die Grundlagen des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts kurz zusammengefasst werden.
Grundsätzlich Herausgabepflicht des Rechtsanwalts
Der Anwaltsdienstvertrag ist ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 BGB. Somit gilt auch die Regelung des § 667 BGB, wonach der Beauftragte (also der Rechtsanwalt) verpflichtet ist, dem Auftraggeber (also dem Mandanten) alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. Diese zivilrechtliche Herausgabepflicht, die den Anwalt im Rahmen seiner Berufsausübung trifft, kann i.V.m. § 43 BRAO daneben auch eine Berufspflicht sein, wenn es sich um grobe Verstöße handelt, die die äußere Seite der Anwaltstätigkeit betreffen und mit einer gewissenhaften Berufsausübung und mit der Stellung des Rechtsanwalts nicht mehr vereinbar sind (BGH AnwBl. 2015, 178 = BRAK-Mitt. 2015, 39). Der BGH hatte in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass auch die Verweigerung der Herausgabe der Handakten ohne rechtfertigenden Grund eine solche Berufspflichtverletzung darstellen kann, weil hierdurch in erheblichem Maße die Achtung und das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Integrität des Berufsstandes gefährdet werde.
Voraussetzungen des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts
Die Regelung in § 50 Abs. 3 BRAO gewährt dem Anwalt in bestimmten Fällen ein Zurückbehaltungsrecht, das ein Sonderrecht zugunsten des Rechtsanwalts darstellt und dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB als lex specialis vorgeht (s. BT-Drucks 18/9521, S. 67). Dieses anwaltliche Zurückbehaltungsrecht erspart dem Anwalt in vielen Fällen, seine berechtigten Ansprüche auf Zahlung seiner Vergütung gegen den Mandanten gerichtlich geltend machen zu müssen. Die Regelung eines solchen Zurückbehaltungsrechts in der BRAO macht nur dann Sinn, wenn man gleichzeitig für den Normalfall von einer berufsrechtlichen Herausgabepflicht des Rechtsanwalts ausgeht (so BGH, a.a.O., s. vorstehend unter I.). Der BGH, a.a.O., hat darauf hingewiesen, dass das Zurückbehaltungsrecht als Ausnahme von einer vorausgesetzten berufsrechtlichen Verpflichtung zur Herausgabe der Handakten ausgestaltet worden ist. Dies hat der BGH auch aus der Begriffsbestimmung der Handakten in § 50 Abs. 4 BRAO gefolgert, weil diese Regelung ersichtlich den Zweck hat, den Umfang der berufsrechtlichen Herausgabepflicht zu konkretisieren.
Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts
Gegenstand des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts sind die Handakten, deren Herausgabe der Rechtsanwalt dem Mandanten verweigern kann. Was unter den Begriff der Handakten fällt, regelt § 50 Abs. 4 BRAO. Hierzu gehören nur die Schriftstücke, die der Anwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat. Nicht hierzu gehören hingegen gem. § 50 Abs. 2 S. 4 BRAO der Briefwechsel zwischen Anwalt und seinem Auftraggeber und diejenigen Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat, was eine entsprechende Dokumentation des Rechtsanwalts hinsichtlich der überlassenen Schriftstücke voraussetzt (Offermann-Burckart, in: Henssler/Prütting, a.a.O., § 50 BRAO Rn 69). Eine ausdrückliche Regelung, ob auch ein von dem Rechtsanwalt für den Mandanten erstrittener Vollstreckungstitel hierzu gehört, enthält § 50 Abs. 4 BRAO nicht. Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur zählt unter dem Begriff der Handakte auch einen von dem Rechtsanwalt erwirkten Vollstreckungstitel (s. Offermann-Burckart, in: Henssler/Prütting, a.a.O., § 50 BRAO Rn 87 mit dem Hinweis, der Anwalt könne ja auch mit dem Anspruch des Mandanten auf Auskehrung vereinnahmter Gelder gegen seine Vergütungsforderung aufrechnen). Der vom Thür. OLG für seine Auffassung herangezogene Kommentar von Hartung/Scharmer, a.a.O., schließt allerdings unter § 50 BRAO Rn 111 ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Vollstreckungstitels grds. aus.
Ausnahmen
Gem. § 50 Abs. 3 S. 2 BRAO kann der Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten und ggf. eines Vollstreckungstitels dann nicht verweigern, wenn die Vorenthaltung nach den Umständen unangemessen wäre. Diese Regelung stellt also das allgemeine Zurückbehaltungsrecht des Anwalts unter den Grundsatz von Treu und Glauben. So wird eine Ausnahme von dem Zurückbehaltungsrecht dann angenommen, wenn der Rechtsanwalt sein Recht wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit der ihm geschuldeten Beträge geltend macht. Außerdem ist auch das Verhalten des – früheren – Mandanten zu berücksichtigen, nämlich ob dieser überhaupt in de...