StPO § 267, StVO § 3
Leitsatz
Zum Toleranzwert bei Ermittlung der Geschwindigkeit mittels Nachfahrens mit einem Motorrad unter Verwendung der Anlage ProViDa 2000 Modular und unter manueller Berechnung der Geschwindigkeit anhand des aufgenommenen Messfilms.
OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2020 – 4 RBs 87/20
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 250 EUR unter Einräumung von Ratenzahlung verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" angeordnet. Nach den Feststellungen des AG befuhr der Betr. als Führer eines Pkws die B64 außerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geschwindigkeit von 142 km/h und überschritt damit die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h. Die Messung erfolgte durch einen Polizeibeamten mittels Nachfahrens mit einem Motorrad unter Verwendung der Anlage ProViDa 2000 Modular und unter manueller Berechnung der Geschwindigkeit anhand des aufgenommenen Messfilms.
Das OLG Hamm hat auf die Rechtsbeschwerde des Betr. das Urt. des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urt. und zur Zurückverweisung der Sache an das AG (§§ 79 Abs. 3 und 6 OWiG, 349 Abs. 4 StPO)."
1. Das – im Übrigen ausgesprochen sorgfältig abgefasste – angefochtene Urt. weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Betr. auf. Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. nur: BGH, Beschl. v. 25. 2. 2015 – 4 StR 39/15, Rn 2, juris). Vorliegend ist die Beweiswürdigung in einem Punkt lückenhaft bzw. widersprüchlich.
a) Zur Aufhebung führt für sich genommen noch nicht, dass das AG bei der vorliegenden Mess- und Auswertemethode fälschlich von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen ist, denn das AG hat die Geschwindigkeitsberechnung im Einzelnen gut nachvollziehbar in den Urteilsgründen dargelegt. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen. Es bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, – wie hier geschehen – die Geschwindigkeitsberechnung mittels ProViDa dergestalt vorzunehmen, dass aus dem gefertigten Video nachträglich eine Auswertestrecke festgelegt wird und für diese Strecke dann mittels Bildzähler eine Geschwindigkeitsberechnung anhand des Videos stattfindet (AG Lüdinghausen, Urt. v. 20.4.2015 – 19 OWi – 89 Js 1431/14 – 139/14, juris; Krumm in: NK-GesVerkR, 2. Aufl., Anh. 3 zu § 3 StVO Rn 138).
b) Indes begegnet die Beweiswürdigung des AG zu dem Umstand, dass sich der Abstand zwischen dem verfolgenden Polizeimotorrad und dem Fahrzeug des Betr. vergrößerte, durchgreifenden rechtlichen Bedenken in dem o.g. Sinne. Das AG bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Lichtbilder Bl. 11 d.A., welche die Einzelbilder vom Anfang und vom Ende der Messung aus dem aufgenommenen Videofilm wiedergeben und aus denen sich ergeben soll, dass die Auswertung der Spurhöhe des Fahrzeugs des Betr. am Beginn der Messung, also auf dem ersten Bild, 39 Pixel, am Ende, also auf dem zweiten Bild, nur 36 Pixel betrage (UA S. 4). Aufgrund der zulässigen Inbezugnahme der Bilder gem. §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO durfte und musste sich der Senat Kenntnis von den Bildern verschaffen und sie in seine rechtliche Prüfung einbeziehen. Die Inaugenscheinnahme der Bilder ergab Folgendes: Es findet sich zwar auf diesen eine Einblendung in einem weißen Feld mit dem Inhalt “039 Pixel' bzw. “036 Pixel'. Abgesehen davon, dass diese Pixelzahlen anhand der Bilder nicht nachvollzogen werden können, ist – gravierender noch – der Umstand, dass auf diesen Bildern (möglicherweise infolge einer Verschlechterung der Bildqualität gegenüber dem Videofilm durch Ausdruck) ein verfolgtes Fahrzeug auch nicht ansatzweise zu erkennen ist. Auf dem ersten Bild (also von Beginn der Auswertung) lässt sich ein V-förmiges Stück Himmel zwischen dichter Bewaldung links und rechts davon sicher erkennen. Noch schwach ist in der unteren Bildmitte eine Fahrbahn erkennbar. Erahnen lässt sich noch – offenbar sehr weit entfernt – ein Fahrzeug, welches aber angesichts seiner Position auf der Straße und Scheinwerfern dem entgegenkommenden Verkehr zuzurechnen sein dürfte. Auf dem zweiten Bild sieht man, neben dem etwa V-förmigen Stück Himmel und der Bewaldung, links unten ebenfalls ein Fahrzeug und in etwas Abstand von diesem drei oder vier weitere Fahrzeuge. Auch bei diesen deuten Position und Scheinwerfer aber auf entgegenkommenden Verkehr hin.
Damit ist nic...