(…) II. Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Einstellung des Verfahrens, da Verfolgungsverjährung eingetreten ist und damit ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis vorliegt.
1. Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde: Halter des bei dem Verkehrsverstoß festgestellten Fahrzeugs ist der Vater des Betroffenen, der in A gemeldet ist. Dessen Anhörung wurde am 2.9.2019 angeordnet. Nach Erholung eines Lichtbildes des Vaters des Betroffenen wurde am 1.10.2019 der Polizeiposten in A um Ermittlung des Fahrers zur Tatzeit gebeten. Von der Polizei in A wurde unter dem 8.10.2019 mitgeteilt, dass die durchgeführten Ermittlungen über die Meldedaten und Erholung eines Lichtbildes des Betroffenen ergaben, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Betroffene den Pkw geführt haben dürfte. Unter dem 15.10.2019 ordnete daraufhin ein Mitarbeiter des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes die Anhörung des Betroffenen an. Der Bußgeldbescheid wurde am 20.11.2019 erlassen und durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 22.11.2019 unter der Anschrift in A zugestellt. Der Betroffene war seit 1.8.2019 mit Hauptwohnsitz in F und in A mit einer Nebenwohnung gemeldet.
Die Verteidigerin hat mit am 6.12.2019 beim bayerischen Polizeiverwaltungsamt eingegangenem Schreiben gegen den Bußgeldbescheid vom 20.11.2019 "namens und in Vollmacht des Mandanten" Einspruch eingelegt, ohne eine schriftliche Verteidigervollmacht vorzulegen. Die Akten wurden am 11.2.2020 dem Amtsgericht vorgelegt, wo dann am 8.4.2020 und am 17.4.2020 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt worden sind. Eine von der Verteidigerin vorgelegte schriftliche Strafprozessvollmacht wurde vom Betroffenen am 20.4.2020 unterzeichnet. Nach Vortrag der Verteidigerin blieb der in A zugestellte Bußgeldbescheid ungeöffnet und ist dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben worden. Sie habe dem Betroffenen den Bußgeldbescheid auch nicht in Textform übermittelt.
2. Das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§ 260 Abs. 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil bereits vor Urteilsverkündung Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eingetreten war.
a) Die Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, ist als Verfahrensvoraussetzung bzw. als Verfahrenshindernis vom Senat im Rahmen der Rechtsbeschwerde von Amts wegen eigenständig unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren zu überprüfen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 31 Rn 17, 19; OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.3.2012 – 6 Ss 54/12 bei juris). Der Senat kann sich demnach nicht darauf beschränken, die dahingehende Beweiswürdigung des Tatgerichts einer Rechtskontrolle zu unterziehen.
b) Die Verjährungsfrist betrug für den verfahrensgegenständlichen Verstoß drei Monate (§ 26 Abs. 3 Hs. 1 StVG). Sie begann am 13.8.2019, dem Tattag (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), und wurde durch die am 15.10.2019 erfolgte Anordnung der Anhörung des Betroffenen unterbrochen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG). Daher ist Verjährung am 14.1.2020 eingetreten und konnte nicht mehr durch den Eingang der Akten beim Amtsgericht am 11.2.2020 nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG erneut unterbrochen werden.
c) Die Verjährungsfrist ist hingegen nicht nach § 26 Abs. 3 Hs. 2 StVG auf sechs Monate verlängert und auch nicht nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG erneut unterbrochen worden durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 20.11.2019; denn der Bußgeldbescheid ist nicht innerhalb von zwei Wochen ab Erlass wirksam zugestellt worden. Sowohl für die Verlängerung der Frist auf sechs Monate als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht nur ein wirksamer Bußgeldbescheid, sondern auch dessen wirksame Zustellung erforderlich (vgl. BGHSt 45, 261, 263; OLG Bamberg NJW 2006, 1078; OLG Celle zfs 2011, 647).
aa) Eine wirksame Zustellung an den Betroffenen ist unter der Anschrift in A nicht erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 OWiG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides durch die Post mittels Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177 – 182 ZPO entsprechend. Nach §§ 178 Abs. 1, 180 S. 1 ZPO erfordert eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist. Für den Begriff der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften kommt es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und dort auch schläft bzw. dort seinen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsucht, ohne dass der melderechtliche Status ausschlaggebend ist (vgl. BGH NJW-RR 1994, 564; BeckOK ZPO/Dörndorfer [Stand: 1.9.2020] § 178 Rn 3). Dies war für die Wohnung in A zum Zeitpunkt der Zustellung nicht der Fall. Der Betroffene trägt nachvollziehbar und durch die eidesstattliche Versicherung seines Vaters bestätigt vor, dass er sich seit 1.8.2019 nicht mehr in A aufgehalte...