StVG § 7 Abs. 1 § 17 Abs. 1 § 18 Abs. 1; VVG § 115; StVO § 7 Abs. 5 § 4 Abs. 1 S. 2 § 29
Leitsatz
1. Im öffentlichen Straßenverkehr scheidet bei einem Unfall innerhalb einer als Gruppe fahrenden Motorrädern regelmäßig die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsverzichts aus. Insoweit liegt ein ungewöhnlich erhöhtes Schadensrisiko, wie etwa bei einer an ein Rennen angelehnten Veranstaltung, nicht vor. Der Schädiger wird zudem wegen des Schutzes einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung nicht unbillig belastet.
2. Zur Bildung der Haftungsquote bei einem Unfall zwischen einem von dem in der Motorradgruppe gebildeten Fahrlinien abweichenden Motorrad und einem von hinten kommenden, schneller fahrenden Motorrad.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.4.2021 – I-1 U 32/21
Sachverhalt
Der Kläger war 2012 mit seinem Motorrad in einer Gruppe von 6 Krafträdern auf einer Landstraße am Niederrhein unterwegs. Als sich die Gruppe einer Einmündung näherte, gab der Fahrer des führenden Kraftrades durch Einschalten des Blinkers zu erkennen, in diese Einmündung nach links abbiegen zu wollen. Als er bei weiterer Annäherung erkannte, dass eine durchgezogene Linie der Durchführung seines Vorhabens entgegen stand, schaltete er den Blinker zurück und gab durch Handzeichen zu verstehen, dass die Fahrt auf der bisherigen Straße fortgesetzt werden solle. Im Rahmen der durch dieses Manöver verursachten Verzögerung fuhr die Beklagte zu 1) mit dem von ihr geführten Motorrad auf das Krad des Klägers auf. Der kam dadurch zu Fall und verletzte sich schwer.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte zu 1) sei, nachdem er verkehrsbedingt zunächst abgebremst, aber dann schon wieder Fahrt aufgenommen habe, mit überhöhter Geschwindigkeit von hinten auf sein Fahrzeug aufgefahren.
Die Beklagten haben behauptet, der Kläger sei zunächst mittig auf der rechten Fahrbahn gefahren und habe dann plötzlich ohne verkehrsbedingten Grund scharf abgebremst. Die Beklagte habe sich daraufhin entschlossen, ihn links zu überholen. Der Kläger habe dann aber nochmals gebremst und sei nach links auf die Gegenfahrbahn ausgeschert, wohl um nach links abzubiegen. Trotz des Versuchs ihrerseits, noch weiter nach links auszuweichen, habe sie dann eine Kollision mit dem Kläger nicht mehr verhindern können.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Die näheren Umstände der Kollision hätten nicht aufgeklärt werden können. Immerhin stehe fest, dass die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände zwischen den Motorrädern nicht eingehalten worden seien. Danach aber sei das Fehlverhalten der Gruppe offensichtlich einverständlich unter Verstoß gegen die Regelungen in §§ 2, 4 StVO erfolgt. Eine solche konkludente Übereinkunft beinhalte aber auch einen Haftungsausschluss für Unfälle, die ihre Ursache eben in dieser (konkludent) vereinbarten Abweichung von den Regeln der StVO in der Gruppe haben.
Auf die Berufung des Klägers hin hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das Landgericht zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache hinsichtlich des Anspruchsgrundes und hinsichtlich des Feststellungsantrags teilweise Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 3 PflVG ein Anspruch auf Ersatz des durch den Unfall vom 21.10.2012 entstandenen Schadens unter Zugrundelegung eines 50 %igen Haftungsanteils der Beklagten zu. Wegen der Höhe des zuzusprechenden Schmerzensgeldes und des Schadensumfangs ist die Sache nicht entscheidungsreif. Insoweit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Im Einzelnen:
1. Im Ansatz zu Recht rügt der Kläger, dass das Landgericht eine Haftung der Beklagten für die Kollision nicht schon aufgrund eines stillschweigenden Haftungsverzichts der Beteiligten hätte ausschließen dürfen. Anknüpfungspunkte für die zugrunde gelegte Annahme, die Beteiligten hätten die in Fahrtrichtung R. führende Fahrspur der B 67 ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand befahren und zu der Kollision sei es "infolge von Unruhe und Bremsmanövern in der Gruppe" nach der Aufgabe der Abbiegeabsicht durch den Streithelfer zu 1) gekommen, liegen nicht vor. Die konkreten Abstände der einzelnen Fahrer zueinander sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ungeklärt geblieben. Die Aussagen der Zeugen hierzu waren uneinheitlich bzw. unergiebig. Auch die Sachverständigen konnten keine Feststellungen dazu treffen, welchen Abstand die einzelnen Fahrer hatten.
Ungeachtet dessen kann ein stillschweigender Haftungsausschluss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur in eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden. Wie der Bundesgerichtshof bezogen auf eine vom ADAC durchgeführte sog. "Zuverlässigkeitsfahrt" entschieden hat, scheidet eine Einschränkung der deliktischen Haftung regelmäßig für solche Schäden aus, bei denen der Schutz einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung eingreift. Ei...