Leitsatz (amtlich)

1. Im öffentlichen Straßenverkehr scheidet bei einem Unfall innerhalb einer als Gruppe fahrenden Motorrädern regelmäßig die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsverzichts aus. Insoweit liegt ein ungewöhnlich erhöhtes Schadensrisiko, wie etwa bei einer an ein Rennen angelehnten Veranstaltung, nicht vor. Der Schädiger wird zudem wegen des Schutzes einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung nicht unbillig belastet.

2. Zur Bildung der Haftungsquote bei einem Unfall zwischen einem von dem in der Motorradgruppe gebildeten Fahrlinien abweichenden Motorrad und einem von hinten kommenden, schneller fahrenden Motorrad.

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 5, § 29; VVG § 115

 

Verfahrensgang

LG Kleve (Aktenzeichen 1 O 314/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Kleve vom 13. Februar 2019 - 1 O 314/15 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage ist dem Grunde nach zu 50 % gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 21.10.2012 auf der B 67 in K. nach einer Haftungsquote von 50 % und immaterielle Schaden unter Berücksichtigung eines Haftungsanteils des Klägers von 50 % zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die weitergehende Klage hinsichtlich des Grundes des Anspruchs und des Feststellungsantrags wird abgewiesen.

Im Übrigen wird das Urteil des Landgerichts einschließlich des Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Kleve zurückverwiesen.

 

Gründe

I. pp.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache hinsichtlich des Anspruchsgrundes und hinsichtlich des Feststellungsantrags teilweise Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 3 PflVG ein Anspruch auf Ersatz des durch den Unfall vom 21.10.2012 entstandenen Schadens unter Zugrundelegung eines 50%igen Haftungsanteils der Beklagten zu. Wegen der Höhe des zuzusprechenden Schmerzensgeldes und des Schadensumfangs ist die Sache nicht entscheidungsreif. Insoweit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Im Einzelnen:

1. Im Ansatz zu Recht rügt der Kläger, dass das Landgericht eine Haftung der Beklagten für die Kollision nicht schon aufgrund eines stillschweigenden Haftungsverzichts der Beteiligten hätte ausschließen dürfen. Anknüpfungspunkte für die zugrunde gelegte Annahme, die Beteiligten hätten die in Fahrtrichtung R. führende Fahrspur der B 67 ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand befahren und zu der Kollision sei es "infolge von Unruhe und Bremsmanövern in der Gruppe" nach der Aufgabe der Abbiegeabsicht durch den Streithelfer zu 1) gekommen, liegen nicht vor. Die konkreten Abstände der einzelnen Fahrer zueinander sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ungeklärt geblieben. Die Aussagen der Zeugen hierzu waren uneinheitlich bzw. unergiebig. Auch die Sachverständigen konnten keine Feststellungen dazu treffen, welchen Abstand die einzelnen Fahrer hatten.

Ungeachtet dessen kann ein stillschweigender Haftungsausschluss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur in eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden. Wie der Bundesgerichtshof bezogen auf eine vom ADAC durchgeführte sog. "Zuverlässigkeitsfahrt" entschieden hat, scheidet eine Einschränkung der deliktischen Haftung regelmäßig für solche Schäden aus, bei denen der Schutz einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung eingreift. Eine abweichende Bewertung führt zu einer Durchbrechung des Grundsatzes der Haftung für Deliktsschäden (BGH, Urteil v. 5.03.1963 - VI ZR 123/62 -, NJW 1963, 1099, 1100). Auch kann die Haftung eines Veranstalters eines "Fahrerlehrgangs", der eine "Antischleuderschule" und ein "Gefahrentraining" beinhaltet, trotz des typischerweise erhöhten Schadensrisikos, das diesem Training innewohnt nicht auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz beschränkt werden; der formularmäßige Ausschluss der Haftung ist unwirksam (BGH, Urteil v. 24.09.1985 - VI ZR 4/84 -, NJW 1986, 1610, 1612).

Allerdings hat der Bundesgerichtshof in Bezug auf ein Rennen im Sinne des § 29 StVO ("Gleichmäßigkeitsprüfung" auf dem Hockenheimring) einen konkludenten Haftungsverzicht für die Betriebsgefahr und leichte Fahrlässigkeit angenommen (BGH, Urteil v. 1.04.2003 - VI ZR 321/02 -, NJW 2003, 2018). Wie er hervorgehoben hat, handelt es sich um eine an ein Rennen angelehnte Veranstaltung, bei der die Fahrzeuge - anders als im öffentlichen Straßenverkehr - nicht in einer an den Verkehrsregeln angepassten Weise benutzt werden. Geschlossene Rennstrecken sind schon von der Anlage her no...

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