[…] Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiell-rechtliche Prüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben; auch die Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch. Insoweit kann auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft aus der Antragsschrift vom 10.3.2022 verwiesen werden.

Auszuführen ist lediglich das Folgende:

1. Ohne Erfolg beanstandet der Beschwerdeführer, dass das Berufungsgericht die Ausländereigenschaft des Angeklagten, der libanesischer Staatsangehöriger ist, nicht ausdrücklich im Rahmen der Strafzumessung erwähnt und gewürdigt hat. Der BGH hat wiederholt entschieden, dass die drohende Ausweisung eines Ausländers nicht ohne weiteres als bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt anzusehen ist. Ob ein Verurteilter, der sein Bleiberecht durch erhebliche Straffälligkeit verwirkt hat, von einer (drohenden) Ausweisung so hart getroffen wird, dass dies ausdrücklich strafmildernd zu erwägen ist, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Selbst wenn eine Ausweisung zwingende Folge der Straffälligkeit ist, muss dies kein bestimmender und daher in den schriftlichen Urteilsgründen ausdrücklich aufzuführender Gesichtspunkt im Rahmen der Strafzumessung sein (BGH, Beschl. v. 11.9.1996 – 3 StR 351/96, juris Rn 6; BGH, Urt. v. 5.12.2001 – 2 StR 273/01, juris Rn 7; BGH, Beschl. v. 11.9.2003 – 5 StR 389/03, juris). Diese, noch zum AuslG aufgestellten Grundsätze gelten weiter, auch wenn sich der ausländerrechtliche Status des Angeklagten nach dem nunmehr geltenden AufenthG bestimmt. Jedenfalls dann, wenn eine Ausweisung nach den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht überwiegend wahrscheinlich ist, stellt diese keinen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar. So liegt der Fall hier. Zwar wiegt gem. § 54 Abs. 2 AufenthG das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG schwer, weil der Angeklagte wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist. Demgegenüber besitzt der Angeklagte eine Aufenthaltserlaubnis, ist bereits als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet auf; sein Bleibeinteresse wiegt danach besonders schwer (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung i.S.v. § 53 Abs. 1 AufenthG liegt somit fern. Ebenso liegt ein Versagungsgrund nach § 5 Abs. 4 AufenthG nicht vor. Vor diesem Hintergrund dringt die in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge nicht durch, weil sich die Beweiserhebung nicht aufgedrängt hat.

2. In der Literatur wird zwar – vereinzelt – vertreten, dass das Berufungsgericht aufgrund des Verschlechterungsverbots gehalten sei, die Dauer der isoliert angeordneten Sperre um die Zeit zu kürzen, die zwischen erster Instanz und Berufungsurteil verstrichen ist (vgl. die Nachweise bei Valerius in LK, 13. Aufl. 2020, § 69 Rn 284 mit Fn 919). Die bei weitem herrschende Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung, der sich auch der Senat anschließt, sieht aber das Berufungsgericht durch das Verbot der reformatio in peius weder daran gehindert, die Sperrfristdauer unverändert beizubehalten, noch dazu verpflichtet, bei deren Bestimmung die bereits verstrichene Zeit seit dem vorinstanzlichen Urteil anzurechnen (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 6.9.2000 – 2 Ss 272/00, juris Rn 26; BayObLG, Beschl. v. 4.12.2001 – 1 St RR 169/01, BeckRS 2015, 298; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.2.2003 – 1 Ss 121/02, juris Rn 11; Valerius a.a.O.. Rn 285; v. Heintschel-Heinegg/Huber in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 69a Rn 69; Kinzig in Schönke/Schröder-StGB, 30 Aufl., § 69a Rn 12 jew. m.w.N.).

zfs 8/2022, S. 473 - 474

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