OWiG § 67 Abs. 1 S. 1; MessEG § 37 Abs. 1 § 6 Abs. 3
Leitsatz
1. Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden.
2. Nicht jede Abweichung von der Bedienungsanleitung nimmt einer Messung den Charakter als standardisiertes Messverfahren. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn einer vorgeschriebenen Dokumentation keine eigenständige Bedeutung für die Integrität des Messvorgangs zukommt (hier: Datum der durch die Konformitätserklärung gesondert nachgewiesenen Konformitätsbewertung).
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.2.2023 – 2 ORbs 35 Ss 4/23
1 Sachverhalt
Gegen den Betroffenen erging ein Bußgeldbescheid. Das AG sprach den Betroffenen frei. Dazu führte, dass bei dem Geschwindigkeitsmessgerät vom Typ LTI 20/20 TruSpeed in der Bedienungsanleitung vorgegeben ist, das Datum der Konformitätsbewertung in das Messprotokoll aufzunehmen. Da das Messprotokoll vorliegend nur das Datum der Konformitätserklärung enthielt, kam der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass mangels Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung das Messergebnis nicht aufgrund eines standardisierten Messverfahrens ermittelt worden sei. Mangels Speicherung der Rohmessdaten sei auch keine weitere Überprüfung des Messergebnisses möglich. Das OLG Karlsruhe hat auf die Rechtsbeschwerde der StA das Urteil des AG aufgehoben und den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums als unzulässig verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Dem Antrag der GenStA entsprechend ist auf die Rechtsbeschwerde das Urteil aufzuheben und der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 15.2.2022 als unzulässig zu verwerfen, weil dem Erlass eines Sachurteils durch das Amtsgericht ein Verfahrenshindernis entgegenstand.
Die GenStA hat dazu in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt: "Das AG hat – wie zuvor die Verwaltungsbehörde – übersehen, dass gegen den Bußgeldbescheid vom 15.2.2022 ein wirksamer Einspruch nicht eingelegt ist. Die eingetretene Rechtskraft des Bescheids stellt ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis dar, das neben der Aufhebung des Urteils gemäß § 79 Abs. 6 S. 1 OWiG die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig durch das Rechtsbeschwerdegericht erfordert (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 15.2.2017 – 3 Ss OWi 1294/16, BeckRS 2017, 102375).
Der Bußgeldbescheid vom 15.2.2022 (As. 16) wurde dem Betroffenen am 18.2.2022 gemäß §§ 51 Abs. 1 OWiG, 3 Abs. 2 S. 1 LVwZG, 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt. Die zweiwöchige Einspruchsfrist nach § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG endete gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 43 Abs. 1 StPO folglich an einem Freitag, dem 4.3.2022.
Der Betroffene übermittelte sein unterschriebenes und eingescanntes Einspruchsschreiben vom 3.3.2022 am selben Tag von seinem E-Mail-Konto als Anhang einer E-Mail um 13:03:57 und nochmals um 13:05:18 "vorab" zur Kenntnis an die Zentrale Bußgeldstelle des Regierungspräsidiums Karlsruhe.
Der mittels Anhang einer einfachen E-Mail übersandte Einspruch ist jedoch formunwirksam, da er – mangels Verkörperung – weder schriftlich noch zur Niederschrift der Bußgeldbehörde eingelegt worden ist (vgl. § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG), aber auch der elektronischen Form gemäß §§ 110c S. 1 OWiG, 32a StPO nicht genügt (vgl. AG Stuttgart, Beschl. v. 23.9.2021 – 18 OWi 73 Js 75232/21, BeckRS 2021, 32419; vgl. Gertler in: BeckOK OWiG, Graf, 36. Edition, Stand: 1.10.2022, § 67 Rn 68; Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Auf. 2022, § 67 Rn 33; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.11.2020 – 2 Rv 21 Ss 483/20; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.4.2021 – 2 Ws 73/21, 2 Rv 31 Ss 155/21 [jeweils zur Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung]).
Gemäß § 32a Abs. 3 StPO muss ein Dokument, das schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen ist, als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 StPO eingereicht werden. Die elektronischen Eingaben des Betroffenen weisen jedoch weder eine qualifizierte elektronische Signatur auf noch wurden sie auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht. Zwar reichte der Betroffene seine Einspruchsschrift per Einschreiben auch noch schriftlich ein. Dieses Schreiben ging jedoch erst am 5.3.2022 – und damit einen Tag zu spät – bei der Bußgeldbehörde ein.
Zwar kann auch ein Ausdruck des Anhangs einer einfachen E-Mail dem so eingelegten Einspruch noch zur Wirksamkeit verhelfen (vgl. AG Stuttgart a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.4.2021 – 2 Ws 73/21, 2 Rv 31 Ss 155/21). Das als E-Mail-Anhang übersandte Einspruchsschreiben wurde behördlicherseits jedoch erst am 28.4.2022 zum Zwecke der Gewährung von Akteneinsicht ausgedruckt. Zu diesem Zeitpunkt war die Einspruchsfrist bereits abgelaufen.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass von einer stillschweigenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch die Verwaltungsbehörde vorliegend nicht ausgegangen werden kann, da diese die Verspä...