ZPO § 159 § 160 Abs. 3 Nr. 4
Leitsatz
Die Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst ist in § 159 ZPO nicht vorgesehen, daher verfahrensfehlerhaft, und kann keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein, so dass entweder die Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu wiederholen oder das erstinstanzliche Urteil auf Antrag aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen ist.
OLG Hamm, Urt. v. 19.12.2023 – 7 U 73/23
1 Aus den Gründen:
Der Senat war gehalten, die erstinstanzliche Beweisaufnahme in Form des mündlich erstatteten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zu wiederholen, weil die Protokollierung desselben in erster Instanz entgegen § 159 ZPO unzulässigerweise dem Sachverständigen übertragen wurde. Infolgedessen war die Beweisaufnahme verfahrensfehlerhaft nicht ordnungsgemäß protokolliert.
Nach § 159 Abs. 1 ZPO ist über die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (§ 128 Abs. 1, § 279 ZPO) und jede Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 ZPO) ein Protokoll aufzunehmen. Die mündliche Verhandlung erster Instanz unterlag somit unzweifelhaft dem Protokollzwang. Zuständig für die Protokollführung ist, wenn die Kammer entscheidet, der Vorsitzende, es sei denn, er zieht gemäß § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Urkundsbeamten hinzu (vgl. hierzu Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024 § 159 ZPO, Rn 5; Stadler in Musielak/Voit, 20. Aufl. 2023, ZPO § 159 Rn 7; Fritsche in MüKoZPO, 6. Auflage 2020, § 159 Rn 5; Saenger, ZPO, § 159 Rn 3; Wendtland in BeckOK-ZPO, 50. Ed., 1.9.2023, § 159 ZPO Rn 6). Die Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, die gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO dem Protokollzwang unterliegt, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst ist somit in der ZPO nicht vorgesehen und daher verfahrensfehlerhaft.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann eine Verletzung von § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO auch nicht gemäß § 295 ZPO geheilt werden. Sie führt in der Revision daher regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; denn ohne ordnungsgemäße Protokollierung fehlt es an der für eine revisionsrechtliche Prüfung notwendigen Feststellung eines Teils der tatsächlichen Grundlagen. Eine Aufhebung des Urteils ist danach nur ausnahmsweise dann nicht veranlasst, wenn sich der Inhalt der Beweisaufnahme aus dem Urteil selbst klar ergibt und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Zeugen / der Sachverständige weitere Erklärungen abgegeben haben, die erheblich sein könnten. Allerdings muss sich die Wiedergabe der Aussagen im Urteil dann deutlich von deren Würdigung abheben und den gesamten Inhalt der Bekundungen erkennen lassen (so BGH, Urt. v. 12.2.2019 – VI ZR 141/18, NZV 2019, 524 Rn 18 m.w.N.; siehe auch BGH, Urt. v. 21.4.1993 – XII ZR 126/91, NJW-RR 1993, 1034 = juris Rn 15), was hier nicht der Fall ist.
Vor diesem Hintergrund stellt sich der erstinstanzliche Protokollmangel in der Berufungsinstanz unzweifelhaft als wesentlich i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar, eben weil die Protokollführung durch den Sachverständigen in einem Zuge mit der Gutachtenerstattung keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann (vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2017 – VIIIZR 284/15, BeckRS 2017, 103968 Rn 14) …
Von einer Niederschlagung der zusätzlichen Sachverständigenkosten in zweiter Instanz gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG hat der Senat abgesehen, da im Hinblick auf die jahrelange Praxis von mehreren Kammern zweier Landgerichte im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm, die bislang nicht zu Beanstandungen geführt haben, derzeit nicht von einem offensichtlichen und schweren Verfahrensfehler ausgegangen werden kann (vgl. dazu nur m.w.N. Dörndorfer in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 43. Ed., Stand: 1.10.2023, § 21 Rn 3).
zfs 8/2024, S. 448 - 449