VVG § 90
Weicht ein Kraftfahrer nachts in einer Rechtskurve auf einer Landstraße, an der kein Schild auf Wildwechsel hinweist, bei 70–80 km/h einem Fuchs aus und erleidet sodann einen Fahrzeugschaden, so ist der Aufwendungsersatzanspruch bei der allein zulässigen wertenden Betrachtung des konkreten Falls um 60 % zu kürzen.
LG Trier, Urt. v. 3.2.2010 – 4 O 241/09
Die Klägerin trägt vor: Am 17.1.2009 zwischen 21.30 Uhr und 22.00 Uhr habe sie mit ihrem Pkw die L 148 befahren. In einer Rechtskurve sei plötzlich von rechts ein Fuchs aus dem dort befindlichen Gebüsch bis zur Mitte ihrer Fahrbahn gelaufen. Dieser habe sich umgedreht und sei anschließend wieder in das Gebüsch zurück gelaufen. Um dem Fuchs auszuweichen und einen Wildunfall zu vermeiden, sei sie auf die linke Fahrbahn gefahren und danach gegen die neben der linken Fahrbahnseite befindliche steil ansteigende Fahrbahnbefestigung und den dortigen Böschungsbereich gestoßen.
Aus den Gründen:
“… Die Klage ist teilweise begründet. Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf erweiterten Aufwendungsersatz gem. § 90 VVG zu, der nach §§ 90, 83 Abs. 2, 81 Abs. 2 VVG um 60 % zu kürzen ist.
Ein Entschädigungsanspruch wegen eines Zusammenstoßes mit Haarwild gem. § 12 Nr. 1 I d, AKB besteht nicht. Der Versicherungsnehmer hat hierzu nachzuweisen, dass es zu einer Berührung zwischen dem Kfz und dem Haarwild gekommen ist (OLG Köln RuS 2005, 457). Für das Gericht steht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit … fest, dass es zu einem Zusammenstoß des Fahrzeugs der Klägerin mit dem Fuchs kam. (wird ausgeführt)
Ein Zahlungsanspruch der Klägerin ergibt sich jedoch aus § 90 VVG. Die Vorschrift regelt nach der Reform des VVG u.a. den Ersatz von Rettungskosten bei Unfällen mit Haarwild (vgl. hierzu Hufnagel, DAR 2009, 112 … ). § 90 VVG billigt dem Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Ersatz solcher Aufwendungen zu, die er getätigt hat, um einen Versicherungsfall abzuwenden, und die er den Umständen nach für geboten halten dürfte. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass eine Kollision mit Haarwild unmittelbar bevorgestanden haben muss und dass das Ausweichen geboten war.
Für die Klägerin als Versicherungsnehmerin stand die Kollision mit Wild und damit ein Wildschaden i.S.d. § 12 Nr. 1 I d AKB bevor. Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das Tier aus dem am rechten Fahrbahnrand befindlichen Gebüsch auf die Mitte der Fahrbahn lief, bestand auch die für die ‘Unmittelbarkeit’ erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Versicherungsfalls (BGH VersR 1994, 1181 f.).
Da die Klägerin bewusst ausgewichen ist und nicht lediglich aus Reflex handelte, lag auch eine Handlung vor, die objektiv auf die Vermeidung einer Kollision gerichtet war.
Das Gericht ist auf Grund der gegenüber den aufnehmenden Polizeibeamten gemachten Angaben sowie der Aussage des Zeugen S der Überzeugung, dass es sich bei dem auf die Fahrbahn laufenden Tier um einen Fuchs und somit um ein Haarwildtier i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BJagdG gehandelt hat. In der Verkehrsunfallanzeige hat die Klägerin angegeben, dass ein Fuchs auf die Fahrbahn lief. Diesen Angaben ist in der Praxis hohe Bedeutung zuzumessen, da es sich hierbei um spontane, nicht vorüberlegte Äußerungen des Versicherungsnehmers handelt (OLG Hamm VersR 2004, 1309; OLG Köln RuS 2005, 457). Zudem hat der Zeuge J einen Fuchs weglaufen gesehen.
Es fehlt jedoch an der objektiven Erforderlichkeit des Ausweichmanövers, um einen Wildschaden i.S.v. § 12 Nr. 1 I d AKB zu vermeiden. Bei einem Zusammenstoß mit dem Fuchs drohen wesentlich geringere Schäden für den Versicherer. Sinn und Zweck des Rettungskostenersatzes ist es gerade, die Aufwendungen des Versicherungsnehmers zu ersetzen, die dieser tätigt, um einen anderen, u.U. größeren Schaden vom Versicherer abzuwenden (BGH NJW 1997, 1012). Bei einem Fuchs handelt es sich um ein kleines und leichtes Tier. Die Gefahr von Fahrzeugschäden ist bei der Kollision mit einem solchen Tier als gering einzuschätzen. Wenn die Klägerin mit ihrem Mittelklassewagen den Fuchs mit der geschilderten Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h überfahren hätte, wären lediglich Sachschäden in geringer Höhe entstanden (OLG Köln zfs 2000, 96). Bei einer Fahrtrichtungsänderung mit einer derartigen Geschwindigkeit besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verliert und erhebliche Sachschäden eintreten. Dieses hohe Risiko des Ausweichens hat sich vorliegend auch mit einem Totalschaden am Fahrzeug der Klägerin verwirklicht. Damit war es unverhältnismäßig, durch eine plötzliche Fahrtrichtungsänderung die Gefahr eines wesentlich höheren Schadens in Kauf zu nehmen. Die objektive Gebotenheit des Ausweichens kann auch nicht damit begründet werden, dass bei einem Zusammenstoß die Gefahr bestanden hätte, dass das Fahrzeug außer Kontrolle gerät. Bei einem plötzlichen Ausweichen ist die Wahrscheinlichkeit, die Kontrolle über ein Kfz zu verlieren, ungleich höher als bei einer Kollision mit einem Fuchs....