Die so genannte Harmlosigkeitsgrenze definiert sich als biomechanischer Belastbarkeitswert (auch Delta-V genannt) auf den Insassen eines beaufprallten Fahrzeuges bei dessen Unterschreiten eine Verletzung der HWS aus Sicht der Biomechanik unwahrscheinlich ist und daher ausgeschlossen werden kann.
Aus medizinischer Sicht handelt es sich bei dem Delta-V nicht um einen Grenzwert im Sinne eines Ausschlusskriteriums, sondern vielmehr um einen Richtwert für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Verletzung, die mit der Höhe der Belastung steigt, wobei dieser Zusammenhang nicht linear ist, da weitere medizinische Umstände hinzutreten müssen.
Das Delta-V stellt den Geschwindigkeitszuwachs bzw. -abbau eines Fahrzeuges unmittelbar vor und unmittelbar nach der Kollision dar. Dies wird vielfach mit der Relativgeschwindigkeit verwechselt, die sich aus dem Geschwindigkeitsunterschied der beteiligten Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt ergibt, indem ausgeführt wird, der Schädiger sei mit x km/h auf das Fahrzeug des Geschädigten aufgefahren, so dass von einer hohen Aufprallwucht ausgegangen werden muss.
Umfangreiche Untersuchungen des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München, der Universität Münster, der Technischen Universität Graz und dem Allianzzentrum für Technik haben ergeben, dass unterhalb von kollisionsbedingten Geschwindigkeitsveränderungen bei
Heckkollision |
Delta-V < 15 km/h |
Frontkollision |
Delta-V < 20 km/h |
Seitenstreifkollision |
Delta-V < 5 km/h |
während eines Unfalles keine Verletzungen an der HWS aus Sicht der Biomechanik eintreten können, da es an der entsprechenden biomechanischen Einwirkung auf den Körper mangelt. Auch internationale Studien gelangten zu diesem Ergebnis.
In einer durch Castro durchgeführten Studie konnte nachgewiesen werden, dass nur in 9,1 % von 600 Fällen ein medizinischer Nachweis einer unfallbedingten HWS-Distorsion bei einer Heckkollision von unter 11 km/h Delta-V geführt werde konnte.
Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass selbst bei einem Delta-V bis 15 km/h bei Heckkollisionen lediglich nur leichte Beschwerden eintreten, die nach einem Tag abklingen, so dass eine Bagatellverletzung vorliegt, die kein Schmerzensgeld rechtfertigt.
Bereits aus dem Alltagsleben ergeben sich Einwirkungen auf die Halswirbelsäule, die als solche gar nicht wahrgenommen werden, z.B.
Hustenanfall |
0–1,5 km/h |
Treppenlaufen |
1–3 km/h |
Treppenspringen über 2 Stufen |
2–5 km/h |
Abruptes Stoppen beim Gehen |
4-6 km/h |
Anrempeln zwischen 2 Passanten in einer Fußgängerzone |
5–7 km/h |
Sprung aus 30 cm Höhe |
5–9 km/h |
Hineinfallen in einen Autositz |
2–8 km/h |
sitzend Zurückfallenlassen auf Matratze |
9 km/h |
und der Betroffene danach keine HWS-Distorsion beklagt. Belastungswerte, die auch bei den hier betrachteten Verkehrsunfällen im Niedrigkeitsgeschwindigkeitsbereich auftreten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Studie aus den Niederlanden, die dokumentiert, dass über einen Zeitraum von 6 Jahren lediglich 7 Fälle registriert wurden, in denen Patienten über Beschwerden im HWS-Bereich nach Autoscooterfahrten berichteten (TNO-Bericht 2000, Niederlande). Nach einer Analyse von Castro konnten diesbezüglich in 12 Jahren auch lediglich 16 Fälle dokumentiert werden.