VVG § 81 Abs. 2
Leitsatz
Der VR kann bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den VN in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen (hier: Kürzung auf Null bei absoluter Fahruntüchtigkeit). Dazu bedarf es der Abwägung der Umstände des Einzelfalles.
BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10
Sachverhalt
Der Kl. macht gegen die Bekl. Ansprüche aus einer seit Mai 2008 bestehenden Fahrzeugvollversicherung für seinen Pkw geltend. Das Fahrzeug wurde bei einem Verkehrsunfall am 13.7.2008 gegen 7.15 Uhr beschädigt, als es in einer leichten Linkskurve nach links von der Fahrbahn abkam und gegen einen Laternenpfahl prallte. Eine dem Kl. um 8.40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,70 Promille. Im Strafverfahren wurde der Kl. wegen fahrlässigen Vollrauschs verurteilt. Er ließ das Fahrzeug reparieren und nimmt die Bekl. abzüglich der Selbstbeteiligung von 300 EUR auf Zahlung von 6.422,43 EUR nebst außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie Zinsen in Anspruch. Er behauptet, er könne sich nicht mehr an den Vorfall erinnern und wisse nicht, ob er das Fahrzeug geführt habe. Jedenfalls sei er schuldunfähig gewesen. Auch komme eine vollständige Leistungskürzung nach § 81 Abs. 2 VVG nicht in Betracht.
2 Aus den Gründen:
[10] „… 2. Demgegenüber hält die weitere Auffassung des BG, der Kl. habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
[11] a) Zutreffend geht das BG zunächst davon aus, dass das Führen eines Kfz in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand grds. objektiv und subjektiv als grob fahrlässig anzusehen ist (Senat VersR 1989, 469 unter 4). Auch im Versicherungsvertragsrecht gilt, dass ein Kraftfahrer mit einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille und höher absolut fahruntüchtig ist (Senat VersR 1991, 1367 unter II 3).
[12] aa) Richtig wird ferner erkannt, dass die Regelung des § 827 S. 1 BGB entsprechend anzuwenden ist, den VN also die Darlegungs- und Beweislast für eine behauptete Unzurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Herbeiführung des Versicherungsfalles trifft. Das entsprach bereits der Rspr. des Senats zu § 61 VVG a.F. … Entsprechendes gilt auch für die Neuregelung des § 81 VVG, der an die Stelle von § 61 VVG a.F. getreten ist und lediglich das Alles-oder-Nichts-Prinzip im Falle der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles abgeschafft hat …
[13] bb) Fehlerhaft ist hingegen die Annahme des BG, der Kl. habe nicht den ihm obliegenden Beweis geführt, dass er das Kfz in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit geführt hat. Hierbei hat es wesentlichen Vortrag des Kl. sowie in Betracht zu ziehende Indizien nicht berücksichtigt. Der Kl. hat mehrfach unter Beweisantritt eines Sachverständigengutachtens vorgetragen, er habe im Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 3,18 Promille aufgewiesen. Das BG legt nicht dar, aufgrund welcher ihm zukommender Sachkunde es davon ausgeht, dass die Blutalkoholkonzentration deutlich niedriger gelegen hat; konkrete Werte werden von ihm nicht genannt. Auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. P. im Strafverfahren kann es sich schon deshalb nicht stützen, weil Gutachten zur Berechnung eingeschränkter oder vollständiger Schuldunfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB im Strafverfahren auf anderer Bewertungsgrundlage als im Zivilverfahren erstellt werden. Abgesehen davon hat auch der Sachverständige im Strafverfahren ausgeführt, beim Kl. habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,70 Promille vorgelegen, was nach erfolgter Rückrechnung auf den Unfallzeitpunkt einen Wert von 3,18 Promille ergebe.
[14] cc) Dabei stellt eine Blutalkoholkonzentration ab 3,00 Promille lediglich ein Anzeichen für Schuldunfähigkeit dar … Einen allgemeinen Wert für eine Schuldunfähigkeit infolge Alkoholkonsums gibt es nicht (vgl. BGH VersR 1967, 125 unter IV bei Werten von 2,5 Promille und weniger). Vielmehr sind sämtliche Indizien zu berücksichtigen wie Angaben des Fahrers gegenüber der Polizei und dem Arzt anlässlich der Blutentnahme, Alkoholgewöhnung, physische und psychische Konstitution des Fahrers, die an den Tag gelegte Fahrweise, Zeit, Menge und Art der Nahrungsaufnahme.
[15] Diese umfassende Würdigung hat das BG unterlassen. Es hat ohne nähere Erläuterung angenommen, der Sachverständige habe der Schuldunfähigkeit entgegenstehende Anhaltspunkte gewonnen. Der Gutachter hat im Strafverfahren ausgeführt, die Blutalkoholkonzentration von 3,18 Promille weise auf eine hochgradige alkoholische Beeinflussung zum Unfallzeitpunkt hin. Das werde auch dadurch bestätigt, dass der Kl. sich nach dem Unfall ausschließlich für den Schaden an seinem Auto interessiert habe. Lediglich der Umstand, dass der Kl. nach Angaben der Zeugin S. am Unfallort telefonierte, kann nach Auffassung des Sachverständigen gegen einen Vollrausch sprechen. Er ist dann zu dem Ergebnis gekommen, ein Vollrausch könne nicht ausgeschlossen werden. Das war für die Feststellungen im Strafverfahren und eine Verurteilung wegen Vollrauschs nach ...