[5] "… Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das BG hat mit Recht eine Haftung des Bekl. aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung bejaht."
[6] 1. Das BG ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 323c StGB Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist.
[7] a) Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (vgl. Senatsurt. v. 16.3.2004 – VI ZR 105/03, VersR 2004, 1012; v. 3.2.1987 – VI ZR 32/86, BGHZ 100, 13, 14 f.; v. 2.2.1988 – VI ZR 133/87, BGHZ 103, 197, 199 und v. 18.11.2003 – VI ZR 385/02, VersR 2004, 255, jeweils m.w.N.). Bei diesem Verständnis bezweckt § 323c StGB zumindest auch den Schutz der Individualrechtsgüter des durch einen Unglücksfall Betroffenen (so zutreffend OLG Düsseldorf NJW 2004, 3640, 3641; OLG Hamm VersR 2005, 1689; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 323c Rn 1; vgl. auch BGH, Beschl. v. 22.1.2002 – 4 StR 392/01, NJW 2002, 1356; a.A. OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 794; differenzierend BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn 136 und 546 zu § 330c StGB).
[8] b) Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass das Gesetz allein dem Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz eines funktionierenden und auf Solidarität beruhenden Gemeinwesens dienen soll. Zwar wird in der amtlichen Begründung zum Gesetzesentwurf der Gedanke der sozialen Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft herausgestellt, als Strafgrund wird jedoch auch die “Versäumung einer wirklichen Chance zu erfolgreicher Schadensabwendung‘ angeführt (Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode 1949, BT-Drucks 3713 (1952), S. 44, Spalte 1). Damit ist jedenfalls auch das Ziel der Strafvorschrift erkennbar, individuelle Rechtsgüter des in Not Geratenen zu schützen und eine unterlassene Hilfeleistung in den Fällen strafrechtlich zu sanktionieren, in denen sie erforderlich und den Umständen nach zuzumuten war. Unter diesen Umständen steht die Verpflichtung zur Solidarität zwar im Allgemeininteresse, sie zielt jedoch im Einzelfall auch darauf ab, Schäden von Individualrechtsgütern, die in Gefahr geraten sind, abzuwenden.
[9] c) Soweit die Gegenmeinung darauf abstellt, dass der untätig Bleibende in den Haftungsfolgen nicht einem aktiv handelnden Täter gleichgestellt werden dürfe (vgl. etwa Bamberger/Roth/Spindler, BGB, 3. Aufl., § 823 Rn 178; OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 794, 795; Dütz, NJW 1970, 1822, 1824 f.), wird dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass der zivilrechtlich auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes in Anspruch Genommene im Rahmen des § 323c StGB, der insb. durch das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit begrenzt wird, selbst Täter ist. Darüber hinaus wird der Gegenmeinung zutreffend entgegengehalten, dass die zivilrechtliche Haftung durch das Erfordernis des Eintritts des Schadens und der Zurechnung einzelner Schäden als Folge der verletzten Hilfspflicht hinreichend begrenzt ist und der wegen unterlassener Hilfeleistung auf Schadensersatz in Anspruch Genommene die Möglichkeit eines Rückgriffs im Rahmen der §§ 840, 426 BGB gegen den Haupttäter hat (so zutreffend OLG Düsseldorf NJW 2004, 3640, 3641). Fällt diese Möglichkeit fort, etwa weil ein aktiv handelnder Täter nicht vorhanden, nicht ermittelbar oder vermögenslos ist, kann hieraus eine Haftungsfreistellung für den untätig Bleibenden nicht hergeleitet werden, denn es ist kein Grund ersichtlich, den Verletzten in diesem Falle ohne Ersatzmöglichkeit gegen einen (Mit-)Verursacher des Schadens zu belassen (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
[10] 2. Das BG hat ohne Rechtsfehler das Vorliegen eines Unglücksfalls i.S.d. § 323c StGB bejaht. Nach § 323c StGB macht sich strafbar, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insb. ohne erhebliche Eigengefahr und ohne Verletzung anderer Pflichten möglich ist.
[11] a) Eine Straftat kann für das Opfer ein Unglücksfall i.S.d. § 323c StGB sein, wobei es genügt, dass die Begehung der Straftat unmittelbar bevorsteht, die das Risiko einer erheblic...