[4] "… II. Das BG hat die begehrte Wiedereinsetzung mit der Begründung abgelehnt, der Prozessbevollmächtigte der Kl. – dessen Verschulden diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse – habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Aus dem eingereichten ärztlichen Attest gehe hervor, dass er am 12.7.2012 und damit am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist erkrankt sei. Da er die Berufungsbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft habe, hätte er auch für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung für eine Vertretung sorgen müssen."
[5] III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu 1), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt zwar eine Rechtsverletzung (dazu 2); die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (dazu 3).
[6] 1. Die nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 S. 1, § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschl. verletzt die Kl. in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rspr. nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – I ZB 3/09, MDR 2010, 779, 780; Beschl. v. 5.6.2012 – VI ZB 16/12, NJW 2012, 2522 Rn 6, jeweils m.w.N.).
[7] 2. Mit der vom BG gegebenen Begründung kann der Kl. die beantragte Wiedereinsetzung nicht versagt und ihre Berufung daher nicht verworfen werden. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kl. kann entgegen der Ansicht des BG nicht darin gesehen werden, dass dieser für den Fall seiner unvorhergesehenen Erkrankung keinen Vertreter bestellt hat. Ein Rechtsanwalt, der die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat zwar wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss er sich aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er einen solchen Ausfall vorhersehen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 18.9.2008 – V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn 7 und 9; Beschl. v. 5.4.2011 – VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601, jeweils m.w.N.). Er ist daher auch dann, wenn er eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpfen will, nicht gehalten, für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung vorsorglich einen Vertreter zu bestellen.
[8] 3. Die Entscheidung des BG stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar. Der Prozessbevollmächtigte der Kl. hat die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, weil er nach seiner unvorhergesehenen Erkrankung nicht versucht hat, eine Verlängerung dieser Frist zu erreichen. Ein Rechtsanwalt muss auch bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, NJW 2008, 3571 Rn 9 m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte der Kl. hat zwar im Rechtsbeschwerdeverfahren anwaltlich versichert, er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr imstande gewesen, selbst einfachste anwaltliche Tätigkeiten zu verrichten und habe seinen Versuch, die Berufungsbegründungsschrift abzufassen, deshalb bereits nach wenigen Minuten abbrechen müssen. Damit hat er aber nicht glaubhaft gemacht, dass es ihm nicht möglich und zumutbar war, beim BG eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen und – im Blick darauf, dass das BG diese Frist bereits antragsgemäß um einen Monat verlängert hatte und eine weitere Verlängerung nur mit Einwilligung des Gegners möglich war (§ 520 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO) – den Prozessbevollmächtigten der Bekl. um Zustimmung zur Fristverlängerung zu bitten. Es kann zwar nicht festgestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Bekl. sich mit einer weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt hätte. Darauf kann sich der Prozessbevollmächtigte der Kl. jedoch nicht mit Erfolg berufen. Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre.“
zfs 9/2013, S. 508 - 509