Nachdem der Gesetzgeber in der ZPO die Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde an den BGH durch das Beschwerdegericht eingeführt hat, hatte sich der BGH vermehrt mit Fragen der Kostenfestsetzung und Kostenerstattung zu befassen. Dabei ging es auch um den für die Beurteilung der Notwendigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzusetzenden Maßstab.
I. Die Auffassung des I. Zivilsenats des BGH
Der I. ZS war der erste Zivilsenat des BGH, der sich mit dieser Problematik zu befassen hatte. In seinem Beschl. v. 23.11.2006 hat der Senat die Auffassung vertreten, ob Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, beurteile sich nach einem rein objektiven Maßstab. Deshalb sei die durch das Einreichen einer Schutzschrift nach Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entstandene 1,3 Verfahrensgebühr des Antragsgegners auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Antragsgegner die Antragsrücknahme nicht kannte oder kennen musste. Dies hat der BGH damit begründet, die Unkenntnis des Antragsgegners von der Antragsrücknahme könne die Erstattungsfähigkeit seiner Kosten für eine objektiv nicht erforderliche Tätigkeit seines Verfahrensbevollmächtigten nicht begründen. Diese Entscheidung ist in der Praxis auf keinen großen Widerhall gestoßen. Die Gerichte, die bisher auch die subjektive Sicht des Erstattungsberechtigten in die Prüfung der Notwendigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung einbezogen hatten, haben ihre Rechtsprechung nicht geändert. Der Beschluss des I. ZS des BGH wurde als Sonderfall für die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr beim Einreichen einer Schutzschrift nach Rücknahme des Verfügungsantrags angesehen und nicht auf andere Fallgestaltungen übertragen.
Dies änderte sich schlagartig, als der I. ZS des BGH in seinem Beschl. v. 5.10.2017 seine bisherige Auffassung aufrecht erhalten hat. In jenem Fall ging beim BG der Antrag des Berufungsbeklagten auf Zurückweisung der Berufung am selben Tage, aber zeitlich später, wie die Rücknahmeerklärung des Berufungsklägers beim Gericht ein. Nach Auffassung des I. ZS des BGH war die hierdurch angefallene 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG für den Berufungsbeklagten nicht erstattungsfähig, da das Einreichen des Antrags kurze Zeit nach Eingang der Berufungsrücknahme objektiv nicht notwendig sei. Auf die (verschuldete oder unverschuldete) Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten von der Berufungsrücknahme kam es nach Auffassung des Senats nicht an. Der Senat hat somit die Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG verneint.
II. Die Rechtsprechung des III. Zivilsenats des BGH
Einige Zeit vor Erlass des zweiten Beschlusses des I. ZS des BGH hatte der III. ZS des BGH in seinem Beschl. v. 25.2.2016 ebenfalls auf einen rein objektiven Maßstab abgestellt und die Auffassung vertreten, es komme auf die – auch unverschuldete – Unkenntnis der Partei oder ihres Rechtsanwalts von den maßgeblichen Umständen nicht an. Die Kernaussage der Entscheidung des III. ZS des BGH ergibt sich aus dem amtlichen Leitsatz:
Zitat
"1. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen. Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grds. auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist und es auf die – auch unverschuldete – Unkenntnis der Partei oder ihres Rechtsanwalts von den maßgeblichen Umständen nicht ankommt (Bestätigung und Fortführung des Senatsbeschlusses vom 26.1.2006, III ZB 63/05, BGHZ 166, 117)."
2. Die durch die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme entstandenen Kosten eines Rechtsanwalts sind auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Berufungsbeklagte die Rechtsmittelrücknahme nicht kannte oder kennen musste (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 23.11.2006, I ZB 39/06, NJW-RR 2007, 1575).“
Dem Rechtsanwalt des Klägers bzw. Rechtsmittelbeklagten hat der BGH noch den guten Rat auf den Weg gegeben, eine etwaig bestehende Ungewissheit, ob die Klage/das Rechtsmittel eventuell bereits zurückgenommen worden sei, könne durch eine (ggf. telefonische) Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos geklärt werden. Diese Aussage zeigt, dass die Kollegen vom BGH von der Praxis doch ein weites Stück entfernt sind. Angesichts der knappen Personalausstattung der Gerichte sind die Geschäftsstellen heutzutage nicht immer durchgängig besetzt. Beim LG Berlin haben etwa die Geschäftsstellenmitarbeiter auch des Öfteren den Protokolldienst wahrzunehmen, sodass die jeweiligen Geschäftsstellen häufig mehrere Stunden telefonisch nicht erreichbar sind. Für Urlaubs- und Krankheitsfälle sind vielfach personell keine Vertretungen vorgesehen. Rechtsanwälte haben mir berichtet, dass so manche Geschäftsstelle lediglich per Anrufbeantwo...