Auch dieser Rechtsanwalt sollte seine Verfahrensweise auf die Rechtsprechung des BGH ausrichten. Es kommt nicht selten vor, dass der Kläger, Rechtsmittelkläger oder Antragsteller seinen verfahrensleitenden Antrag alsbald wieder zurücknimmt. Deshalb gilt es für den Rechtsanwalt des Beklagten, Rechtsmittelbeklagten oder Antragsgegners, den die volle Verfahrensgebühr auslösenden Schriftsatz mit Sachantrag oder Sachvortrag so früh wie möglich beim Prozessgericht einzureichen. Geschieht dies, bevor er Kenntnis von der Klage-, Rechtsmittel- oder Antragsrücknahme hat, so ist die volle Verfahrensgebühr für den Mandanten erstattungsfähig. Folglich sollte der Rechtsanwalt seinen Zurückweisungsantrag nach Erhalt des entsprechenden Auftrags umgehend, möglichst per Telefax, beim Gericht einreichen. Dies verursacht in der Praxis keinen großen Mehraufwand. Vielfach wird jedoch in der anwaltlichen Praxis das Einreichen des Zurückweisungsantrags nicht als besonders eilbedürftig angesehen. Geht dann die Klage-, Rechtsmittel- oder Antragsrücknahme ein, bevor der Schriftsatz des Beklagten, Rechtsmittelbeklagten oder Antragsgegners das Anwaltsbüro verlassen hat, ist dann nur die ermäßigte Verfahrensgebühr angefallen und erstattungsfähig. Die volle Verfahrensgebühr wird nämlich erst dann ausgelöst, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz mit Sachantrag oder Sachvortrag u.e. eingereicht hat. Durch die verzögerliche Bearbeitung hat der Anwalt somit einen Teil der Verfahrensgebühr "verschenkt", der für seinen Mandanten auch erstattungsfähig wäre.
In diesem Zusammenhang ist auch von erheblicher praktischer Bedeutung, wann ein anwaltlicher Schriftsatz überhaupt eingereicht ist. Bisher entsprach es allgemeiner Auffassung, dass ein anwaltlicher Schriftsatz mit Eingang bei Gericht eingereicht worden ist.
Demgegenüber hat der XII. ZS des BGH in seinem bereits erwähnten Beschl. v. 7.2.2018 die Auffassung vertreten, ein Schriftsatz sei i.S.v. Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG bereits eingereicht, wenn er so auf den Weg gebracht worden sei, dass sein Zugang ausschließlich von der Tätigkeit Dritter, etwa eines Postbeförderungsunternehmens, abhängig sei. Nach Auffassung des XII. ZS des BGH kommt es deshalb nicht (erst) auf den Eingang des Schriftsatzes bei Gericht, sondern darauf an, wann dieser im Büro des Prozessbevollmächtigten auf den Weg zum Gericht gebracht worden ist, etwa in den Postbriefkasten eingeworfen wurde. Wählt der Prozessbevollmächtigte die Übermittlung seines Schriftsatzes per Briefpost, können zwischen Einwurf in den Postbriefkasten und Eingang bei Gericht durchaus ein oder zwei Tage liegen. Wirft also beispielsweise der Angestellte im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten den Brief mit dem den Klageabweisungsantrag enthaltenen Schriftsatz in den Abendstunden des 1.3. in den Postbriefkastens ein und geht dieser am 3.3. beim Gericht ein, so schadet der Eingang der Klagerücknahme im Büro des Beklagtenvertreters am 2.3. erstattungsrechtlich nicht. Denn als der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Kenntnis von der Klagerücknahme erhalten hat, war ihm die volle Verfahrensgebühr mit Einwurf in den Postbriefkasten am Vorabend nach Auffassung des XII. ZS des BGH schon angefallen. Geht man hingegen davon aus, dass die Verfahrensgebühr erst mit Eingang des Klagerücknahmeschriftsatzes bei Gericht am 3.3. angefallen war, so ist lediglich die ermäßigte 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG erstattungsfähig, da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten vor Verwirklichung des die volle Verfahrensgebühr auslösenden Tatbestandes schon Kenntnis von der Klagerücknahme hatte.
Autor: VorsRiLG a.D. Heinz Hansens , Berlin
zfs 9/2019, S. 484 - 490