StVG § 11 S. 1 § 254, BGB 843 Abs. 1, ZPO 287
Leitsatz
1. Eine verbleibende MdE von 20 % bedeutet keine Arbeitsfähigkeit von 80 %. Es kommt vielmehr darauf an, was der Geschädigte mit seinen besonderen Beeinträchtigungen und eingeschränkten Fähigkeiten auf dem ihm zumutbar erreichbaren Arbeitsmarkt noch zu leisten in der Lage ist.
2. Zur Erfüllung der Schadensminderungspflicht kann es insoweit genügen, wenn der Geschädigte eine einfache Bürotätigkeit von 15 Wochenstunden ausübt und zudem vermehrt im Haushalt mitarbeitet. Der erzielte Vorteil ist von dem Schadensbetrag abzuziehen.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.4.2021 – I 1 U 62/20
Sachverhalt
Der Kläger hat die beklagte Versicherung u.a. auf Ersatz von Verdienstausfall wegen eines Unfalls in Anspruch genommen, der am 3.5.2011 in Wuppertal ereignet hat. Die Einstandspflicht der Versicherung für sämtliche materiellen und zukünftigen immateriellen Schäden hatte das OLG bereits in einem Vorprozess rechtskräftig festgestellt.
Der Kläger arbeitete vor dem Verkehrsunfall als Busfahrer bei den Wuppertaler Verkehrsbetrieben (VSG Service GmbH). Nach dem Unfall war er bis Oktober 2013, zunächst als Fahrausweisprüfer in der Schwebebahn eingesetzt, verlor dann aber den Arbeitsplatz und fand anschließend keine neue Anstellung. Daher einigte er sich mit seiner Ehefrau darauf, dass er überwiegend die Haushaltsversorgung übernimmt und die Ehefrau des Klägers mehr Wochenstunden arbeitet. Der Kläger arbeitete in der Folgezeit zudem ehrenamtlich als "Altenbetreuer". Ende 2014 bis Anfang 2015 war er dort halbtags auf Stundenbasis angestellt. Seit Frühjahr 2016 arbeitete er ca. 15 Std. wöchentlich in einem Büro, vermittelt durch persönliche Kontakte.
Außer den zeitweiligen Erwerbseinkünften hatte der Kläger von Oktober 2014 bis Februar 2016 zunächst Arbeitslosengeld, ab März 2016 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezogen.
Der Kläger war nun der Ansicht, die Beklagte habe ihm im streitbefangenen Zeitraum die Differenz zu seinem Gehalt als Busfahrer zu erstatten. Er hat behauptet, er habe de facto keine Möglichkeit gehabt, eine andere Tätigkeit (als die jetzt ausgeübte Bürotätigkeit) aufzunehmen. Das Arbeitsamt habe ihm keine Stelle anbieten können. Ferner habe er eigenständig nach Stellenanzeigen Ausschau gehalten. Sämtliche Bürotätigkeiten setzen allerdings Computer- und Englischkenntnisse voraus. Diese Kenntnisse habe er jedoch nicht. Nachweise über seine Bewerbungen habe er nicht mehr.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Er habe seine verbleibende Erwerbsfähigkeit von 80 % schadensmindernd einsetzen müssen. Zudem habe sich der Kläger als Altenpfleger umschulen lassen oder die Stundenanzahl der Bürotätigkeit aufstocken können. Jedenfalls sei bei der Berechnung des Verdienstausfalls die Umorganisation der Haushalts- und Erwerbsführung des Klägers zu berücksichtigen.
Das Landgericht hat dem geltend gemachten Anspruch nur zum Teil stattgegeben (16.947,52 EUR). Es war der Auffassung, dem Kläger sei entsprechend seiner Erwerbsfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von 32 Wochenstunden zumutbar und möglich. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung des Klägers hatte zum Teil Erfolg.
2 Aus den Gründen:
Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet; ihm steht ein weitergehender Ersatz seines Verdienstausfallschadens (28.550,18 EUR) … zu … Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch im Falle weitergehender Bewerbungen wegen seines Alters, seines Ausbildungstandes und seiner unfallbedingten Beeinträchtigungen keine wesentlich andere oder besser bezahlte Arbeitstätigkeit als die gegenwärtig ausgeübte Bürotätigkeit in einem Umfang von 15 Wochenstunden hätte finden können …
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz seines Schadens zu, den er durch den unfallbedingten Verlust seiner Fähigkeit, als Busfahrer zu arbeiten, erlitten hat (§§ 11 StVG, 843 BGB). Grundsätzlich ist dem Kläger daher der insoweit entgangene Verdienst zu ersetzen, soweit er nicht von ihm zumutbar kompensiert werden konnte. Hierbei ist nicht feststellbar, dass der Kläger eine Arbeitsstelle hätte finden können, auf der er mehr als die gegenwärtig erzielte Vergütung für seine Bürotätigkeit verdient hätte. Es wirkt sich daher nicht aus, dass der Kläger seiner sekundären Darlegungslast hinsichtlich seiner Erwerbsbemühungen nicht hinreichend nachgekommen ist.
Grundsätzlich ist der Verletzte, der unfallbedingt in seinem alten Beruf nicht mehr oder nicht mehr voll arbeiten kann, verpflichtet, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren und Möglichen so nutzbringend wie möglich einzusetzen (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, II. Erwerbsschaden, Rn 54, beck-online). Bei der Prüfung der Möglichkeit und der Zumutbarkeit einer gewinnbringenden Erwerbstätigkeit sind der Gesundheitszustand des Verletzten, Persönlichkeit, soziale Lage, bisheriger Lebenskreis, Begabung und Anlagen, Bildungsgang, Kenntnisse und Fähigkeiten, bisherige Erwerbsstellung, Alt...