In der Sache dürften die besseren Argumente für die Auffassung des OLG Jena und des OLG Stuttgart sprechen. Das BVerfG hat in seinem Beschl. v. 12.11.2020 unmissverständlich im Sinne der schon zuvor herrschenden Auffassung entschieden, dass der Betroffene ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden (!) Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen hat, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte. Diese für die Praxis bedeutsame Klarstellung vollziehen das BayObLG und das OLG Zweibrücken lediglich hinsichtlich der Messdaten der den Verurteilten betreffenden Messung nach. Soweit hingegen ein Anspruch auf Überlassung der gesamten Messreihe vom Tattag abgelehnt wird, dürfte dies dem Beschluss des BVerfG erkennbar widersprechen und das dem Betroffenen grundsätzlich zuerkannte Einsichtsrecht in einem nicht unwesentlichen Teilbereich zu entwerten drohen. Wie das BVerfG ausdrücklich ausführt, kann die Verteidigung "grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen". Hingegen obliegt es weder den Gerichten noch sind sie dazu befugt, das Einsichtnahmerecht des Betroffenen mit der Begründung einzuschränken, dass das Gericht (oder gar die PTB) meint, dass der Betroffene der Einsichtnahme in die begehrten Unterlagen und Dateien nicht bedürfe, weil sich daraus – nach Auffassung des Gerichts – nichts Relevantes ergeben werde. Das BVerfG hat lediglich mit Blick auf die erforderliche Vermeidung von "Rechtsmissbrauch" im Anschluss an die zitierten Grundsätze ausgeführt, dass das Einsichtsrecht nicht zu einer "uferlosen Ausforschung" berechtige. Der nach dem BVerfG erforderliche sachliche und zeitliche Zusammenhang der Informationen mit dem verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf ist aber hinsichtlich der Messdaten des gesamten Tattages erkennbar gegeben, wie das OLG Jena ausgeführt hat und was auch das OLG Zweibrücken nicht in Abrede stellt. Dementsprechend beschränkt das BVerfG in dem seinem Beschluss zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem ebenfalls ein Antrag auf Einsichtnahme in die Rohmessdaten verfahrensgegenständlich war, das Einsichtsrecht nicht auf die Messdaten der konkreten Einzelmessung des Betroffenen, was nahe gelegen hätte, wenn das BVerfG der jetzt vom BayObLG und vom OLG Zweibrücken vertretenen Auffassung gewesen wäre, dass sich das Einsichtsrecht nur auf die Daten der Messung des Betroffenen erstreckt.
Den Messdaten des gesamten Tattags wird man aus der maßgeblichen Sicht der Verteidigung die erforderliche mögliche Relevanz nicht absprechen können. Denn der vom Betroffenen zu beauftragende Sachverständige wird diese Daten etwa verwenden können (und dieser Daten gerade bedürfen), um die Richtigkeit der Messung des Betroffenen auf ihre Plausibilität überprüfen zu können oder aber gerade Zweifel daran zu belegen. Eben darum geht es bei der Gewährung des Einsichtsrechts, denn nach den Grundsätzen über das standardisierte Messverfahren muss der Betroffene nicht die Richtigkeit der Messung widerlegen, sondern zur Stellung eines Beweisantrags, dem das Gericht dann nachzugehen hat, konkrete Anhaltspunkte für eine unzutreffende Messung vortragen. Durch die Beschränkung auf die Daten der konkreten Einzelmessung des Betroffenen wird dem Betroffenen diese Möglichkeit durch Vergleich mit den übrigen Messungen des Tattages genommen. Das dürfte dem oben dargelegten Gewährleistungsgehalt des aus dem Recht auf ein faires Verfahren resultierenden Einsichtsrecht des Betroffenen widersprechen. Die Entscheidung des BGH (4 StR 84/22) bleibt insoweit abzuwarten.
Persönlichkeitsrechte Dritter dürften dem Einsichtnahmerecht des Betroffenen jedenfalls nicht entgegenstehen. Soweit das OLG Zweibrücken insoweit in seinem Vorlagebeschluss nunmehr Bedenken entwickelt, hat gerade das BayObLG bereits im Jahr 1990 entschieden, dass Gründe des "Geheimnisschutzes" einer Übersendung eines Videobandes an den Verteidiger nicht entgegenstehen und auch das BVerfG hat im Jahr 2011 die Position vertreten, dass die Verkehrsteilnehmer sich durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei aussetzen.