Ist ein standardisiertes Messverfahren zur Anwendung gekommen, dann obliegt es dem Betroffenen, konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Messung darzulegen, wenn er die Richtigkeit der Messung bestreitet. Einem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Richtigkeit der Messung muss das Gericht im Fall eines standardisierten Messverfahrens aus den vorgenannten Gründen nicht nachkommen. Es wird einen solchen Beweisantrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückweisen. Auch eine Rechtsbeschwerde – gestützt auf die Verfahrensrüge einer rechtswidrigen Zurückweisung eines solchen Beweisantrags – ist dann unbegründet, weil das Gericht den Beweisantrag gerade zurückweisen durfte, wenn der Betroffene nicht konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Messung dargelegt hat.
Um aber substantiiert vorbringen zu können, weshalb Zweifel an der Richtigkeit der Messung bestehen, muss der Betroffene – bzw. in der Praxis vielmehr der von ihm beauftragte Sachverständige – die Funktionsweise des Geräts nachvollziehen können sowie die Messungen mittels dieses Geräts auf ihre Richtigkeit überprüfen können. Die hierzu erforderlichen Unterlagen und Daten sind ihm unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf ein faires Verfahren zur Verfügung zu stellen.
I. Perspektive des Betroffenen bzw. seines Verteidigers
Hinsichtlich des Umfangs des Akteneinsichtsrechts hat sich das BVerfG nicht explizit zu den einzelnen Unterlagen und Daten geäußert, in die der Beschwerdeführer Einsicht nehmen wollte. Dazu hatte es auch keine Veranlassung, weil das OLG Bamberg als Rechtsbeschwerdegericht ein Einsichtsrecht generell verneint hatte.
Das BVerfG hat sich jedoch deutlich zu den Maßstäben positioniert, die für die Gewährung des Einsichtsrechts gelten, und insoweit ausgeführt, dass die Verteidigung "grundsätzlich auch jeder bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen" darf und es nicht darauf ankommt, "ob die Bußgeldbehörde oder das Gericht die in Rede stehenden Informationen zur Überzeugung von dem Verstoß für erforderlich erachtet". Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zum Umfang des Akteneinsichtsrecht, namentlich der sog. Spurenaktenentscheidung : "Hierdurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, da er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind".
Es ist daher hinsichtlich der Frage, ob die Verteidigung der Einsichtnahme in bestimmte Unterlagen oder Daten bedarf ("Relevanz für die Verteidigung"), "maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen beziehungsweise seines Verteidigers abzustellen." Wenn der Betroffene geltend macht, er wolle sich selbst Gewissheit darüber verschaffen, dass sich aus den dem Gericht nicht vorgelegten Inhalten keine seiner Entlastung dienenden Tatsachen ergeben, dann wird ihm die "Einsicht grundsätzlich zu gewähren sein".
II. Erstreckung auf die "Lebensakte" und die Bedienungsanleitung
Der Anspruch auf Einsichtnahme in die Messunterlagen erstreckt sich insbesondere auf die "Lebensakte" des Geräts, also auf die behördliche Sammlung von Nachweisen über erfolgte Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe am Messgerät (einschließlich elektronisch vorgenommener Maßnahmen, also Softwareänderungen und -aktualisierungen). Dies haben nunmehr im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG auch das OLG Zweibrücken und das OLG Celle sowie der VerfGH Rheinland-Pfalz erneut anerkannt und der Rechtsbeschwerde bzw. Verfassungsbeschwerde des Betroffenen jeweils stattgegeben. Denn aus solchen Unterlagen können sich im Einzelfall für die Verteidigung des Betroffenen relevante Informationen ergeben, die – gegebenenfalls nach weiterer Überprüfung durch einen vom Betroffenen beauftragten Sachverständigen – auf Fehler bei der Geschwindigkeitsmessung des vom Betroffenen geführten Fahrzeugs hindeuten können. Zu einer entsprechenden Aufbewahrung von Nachweisen verpflichtet § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG den Geräteverwender. Unmaßgeblich ist für das Einsichtsrecht, ob die Verwaltungsbehörde die erforderliche Sammlung als "Lebensakte" bezeichnet oder nicht.
Dass sich das Einsichtsrecht auf die Bedienungsanleitung des Geräts erstreckt, ist ebenfalls anerkannt. Das OLG Celle hat jüngst noch einmal darauf hingewiesen, dass dem Einsichtnahmerecht des Betroffenen urheberrechtliche Bedenken nicht entgegenstehen (vgl. § 45 Abs. 1 UrhG) und dass die Verteidigung nicht darauf verwiesen werden kann, anstelle der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung in den Räumen der Bußgeldbehörde oder der Polizeidienststelle Einsicht zu nehmen.