VVG § 172 Abs. 2; AVB-SBU § 2
Leitsatz
Bei einer Dienstunfähigkeitsklausel, nach der es für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausreicht, wenn die versicherte Person als Beamter infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist, begründet nicht schon der Umstand, dass der Beamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, eine unwiderlegbare Vermutung seiner vollständigen Berufsunfähigkeit.
BGH, Urt. v. 31.5.2023 – IV ZR 58/22
1 Sachverhalt
Der Kl. macht Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend, die er im Jahre 2013 bei der Bekl. abgeschlossen hat. Dem Versicherungsvertrag liegen "Allgemeine Bedingungen für die Selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (AB)" zugrunde, die im Wesentlichen den üblichen B-B4 entsprechen und Tarifbedingungen (TB) sowie eine "Zusätzliche Vereinbarung – Dienstunfähigkeitsklausel" (im Folgenden: Dienstunfähigkeitsklausel) zugrunde.
In den TB … unter anderem:
Die Dienstunfähigkeitsklausel lautet auszugsweise:
Zitat
Ergänzend zu § 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als vereinbart:
Alternativ zu der Voraussetzung für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit, dass die versicherte Person ihrem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann, reicht es bereits aus, wenn die versicherte Person als Beamtin/Beamter … infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit (im Sinne des § 44 Absatz 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes und des § 26 Absatz 1 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes, Stand: 1.5.2011, …) in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist.
Der Kl. war seit Mai 2013 Bürgermeister einer Verbandsgemeinde, ehe er durch Bescheid vom 14.5.2019 mit Ablauf des Monats Mai 2019 aufgrund psychischer Beeinträchtigungen in den Ruhestand versetzt wurde. Die daraufhin beantragten Versicherungsleistungen verweigert die Bekl. mit der Begründung, sie habe die erforderliche Prüfung ihrer Leistungspflicht nicht beenden können, da der Kl. nicht bereit sei, sich einer fachärztlichen Untersuchung zur Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit zu unterziehen. Der Kl. sieht sich zu einer solchen Untersuchung nicht gehalten. Er ist der Auffassung, die Vorlage des Bescheides zur Versetzung in den Ruhestand begründe eine unwiderlegbare Vermutung seiner Berufsunfähigkeit.
2 Aus den Gründen: …
[11] Ein Leistungsanspruch des Kl. ist derzeit jedenfalls noch nicht fällig, weil die Bekl. notwendige Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles aufgrund unzureichender Mitwirkung des Kl. nicht hat abschließen können, § 14 Abs. 1 VVG.
[12] Entgegen der Auffassung der Revision genügt nach der Dienstunfähigkeitsklausel die Versetzung des Kl. in den Ruhestand wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit nicht, um die Leistungspflicht des VRs auszulösen. Das ergibt die Auslegung der Klausel (vgl. – teilweise zu anderslautenden Klauselfassungen – OLG Brandenburg, Urt. v. 16.11 2021 – 11 U 7/21, juris Rn 25 ff.; OLG Frankfurt r+s 2008, 122 f. [juris Rn 28]; OLG Nürnberg VersR 2003, 1028 [juris Rn 55 ff.] … Gramse in Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht 2. Aufl. § 2 BUV 2008 Rn 89; Klaus-Weidenbach/Ostheim in MAH Versicherungsrecht, 5. Aufl. § 26 Rn 146; Klenk in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 172 Rn 31; Lücke in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. § 2 AVB BU Rn 113; Mangen in BeckOK VVG, § 172 Rn 24; HK-VVG/Mertens, 4. Aufl. § 172 Rn 39; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 4. Aufl. Kap. 5 Rn 218; … Ebers, PK-VVG 4. Aufl. § 172 Rn 49; … vgl. auch OLG Düsseldorf VersR 2018, 21; a.A. KG Berlin VersR 2003, 718; LG Dortmund NJOZ 2016, 1561; Lensing, Der Personalrat 2006, 450, 454; für Unwirksamkeit Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersRHdb 3. Aufl. § 46 Rn 56).
[13] 1. AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VNs ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind (Senat BGHZ 232, 344 Rn 10; st. Rspr.).
[14] 2. a) Bei der Beurteilung der Frage, ob die Leistungspflicht des VRs nach der den Bedingungen der Bekl. zugrunde liegenden Dienstunfähigkeitsklausel allein davon abhängen soll, dass der versicherte Beamte gesundheitsbedingt wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist, wird sich der durchschnittliche VN zunächst am Wortlaut der Klausel orientieren. Er e...