[…] II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die entscheidungserhebliche Frage, inwieweit eine Fehlvorstellung über das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung eine vorsätzliche Tatbegehung begründet, hat grundsätzliche Bedeutung, weil in gleich gelagerten Fällen mit vergleichbaren Entscheidungen des Amtsgerichts zu rechnen ist (vgl. hierzu Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 80 Rn 4, 5). Die Sache wird insoweit dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG)

2. Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als eine Überprüfung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der subjektiven Tatseite einer Nachprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht standhält.

Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft von einem vorsätzlichen Verhalten des Betroffenen ausgegangen. Der Betroffene hat nach den getroffenen Feststellungen die Beschilderung zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h zwar wahrgenommen und sich sodann auch bewusst – in der irrigen Annahme, diese gelte nicht fort – zur Beschleunigung auf 135 km/h entschlossen. Er hat sich insoweit jedoch nicht über die geltende Geschwindigkeitsregelung an sich geirrt, was einen – vermeidbaren – Verbotsirrtum zur Folge hätte (§ 11 Abs. 2 OWiG) und der Annahme von Vorsatz nicht entgegenstünde. Sein Irrtum betraf vielmehr äußere Umstände, die zum Tatbestand gehören und die er falsch beurteilt hat, so dass ein Vorsatz entfällt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG).

Ein Streckenverbot, das wie hier zusammen mit einem Gefahrenzeichen angeordnet ist, entfällt auch ohne Aufhebungszeichen (Zeichen 282) dann, wenn sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht (Erläuterung Nr. 55 Satz 2 der Anlage 2 zu § 41 StVO; vgl. OLG Celle, Beschl. v. 8.11.2018 – 3 Ss [OWi] 190/18). Über diesen Regelungsgehalt der geltenden Norm und deren rechtliche Bedeutung hat der Betroffene sich nach den Urteilsgründen nicht geirrt. Sein Irrtum bezieht sich vielmehr auf den äußeren, die Örtlichkeit betreffenden Umstand, dass die Gefahrenstelle hier entgegen seiner Annahme nicht zweifelsfrei geendet hatte, sondern die Gefahr weiterhin bestand und die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung deshalb noch fortgalt. Dem liegt eine fahrlässige Fehleinschätzung der Örtlichkeit und damit eines Umstandes zugrunde, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens kein Raum (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Der Betroffene handelte vielmehr fahrlässig (§ 11 Abs. 1 Satz 2 OWiG).

Die aufgrund der Sachrüge veranlasste Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hat ansonsten materiell-rechtliche Fehler zum Nachteil der Betroffenen nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat selbst abschließend entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG) und den Schuldspruch ändern sowie den Rechtsfolgenausspruch entsprechend dem hier geltenden Regelsatz für fahrlässiges Verhalten festsetzen (Anhang Nr. 11.3.6 BKatV a.F.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG. Im Hinblick auf den Teilerfolg der zugelassenen Rechtsbeschwerde ist aus Gründen der Billigkeit eine Kostenermäßigung und Auslagenverteilung gemäß § 473 Abs. 4 StPO veranlasst; ausweislich der Rechtsmittelbegründung spricht Überwiegendes dafür, dass der Betroffene eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht beantragt hätte, wenn bereits das Amtsgericht auf Fahrlässigkeit erkannt hätte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Auflage § 473 Rn 26 m.w.N.).

zfs 9/2023, S. 528 - 529

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