AVB Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten §§ 4, 12
Leitsatz
Die Sozienklausel in § 12 I Nr. 1 i.V.m. § 12 III AVB-A ist wirksam und auf Scheinsozien anwendbar.
BGH, Urt. v. 21.7.2011 – IV ZR 42/10
Sachverhalt
Die Kl. nimmt die Bekl. auf Versicherungsleistungen aus einem Berufshaftpflichtversicherungsvertrag in Anspruch. Sie war von August 2000 bis Juli 2005 als angestellte Rechtsanwältin in einer Sozietät tätig, trat nach außen auf dem Briefpapier und in Anzeigen aber als Gesellschafterin auf. Sie wurde von einem ehemaligen Mandanten der Sozietät auf Schadensersatz i.H.v. 111.044,11 EUR wegen Veruntreuung von Geldern durch die beiden Sozien in Anspruch genommen.
Dem Versicherungsvertrag mit der Rechtsvorgängerin der Bekl. liegen die AVB für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten – AVB-A – zu Grunde. Diese lauten auszugsweise:
“§ 4 Ausschlüsse
Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche
3. wegen Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des VN;
5. wegen Schadenverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Der VN behält, wenn dieser Ausschlussgrund nicht in seiner Person und auch nicht in der Person eines Sozius vorliegt – unbeschadet der Bestimmungen des § 7 IV 2 – den Anspruch auf Versicherungsschutz.
§ 12 Sozien
I. 1. Als Sozien gelten Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind.
III. Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien.“
2 Aus den Gründen:
[8]“ … Die Ansicht des BG, § 12 I Nr. 1 und § 12 III AVB-A seien nach § 305c Abs. 1 BGB als überraschende Klauseln wegen der Gleichstellung von Scheinsozien mit Sozien unter der Überschrift “Sozien’ nicht Vertragsbestandteil geworden, hilfsweise seien sie nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB unwirksam, ist rechtsfehlerhaft.
[9] 1. Die Anwendung der Klauseln scheitert entgegen der Auffassung der Revision nicht bereits daran, dass die Kl. und ihre Kollegen jeweils eigenständige Versicherungsverträge mit der Bekl. abgeschlossen haben.
[10] Vielmehr setzt die Sozienklausel nach ihrem dem VN erkennbaren Regelungszusammenhang den Abschluss eigenständiger Versicherungsverträge gerade voraus. Sie erfasst solche Deckungskonzepte, bei denen mehrere Berufsträger, die ihren Beruf gemeinschaftlich ausüben, separat versichert sind. Hingegen hat die Sozienklausel keine Bedeutung, wenn die Sozietät selbst VN ist. Wenn eine Sozietät für sich eine Berufshaftpflichtversicherung abschließt, sind die in ihr tätigen Berufsträger in diese einbezogen (vgl. Diller, Die Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte § 12 Rn 4). Demgemäß werden Umstände, die aufgrund des Verhaltens eines Sozietätsmitglieds einen Haftungsausschluss begründen, der Sozietät zugerechnet, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 12 III AVB-A bedürfte.
[11] 2. Der in § 12 I Nr. 1 i.V.m. § 12 III AVB-A festgelegte Leistungsausschluss für Scheinsozien hält einer Bedingungskontrolle stand. Die Klauseln sind Vertragsbestandteil geworden und wirksam.
[12] a) Versicherungsbedingungen sind nach st. Rspr. so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann … Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an, die unter anderem dahin gehen, Risikoausschlussklauseln eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert …
[13] b) Das bedeutet hier:
[14] In § 1 AVB-A verspricht die Bekl. Versicherungsschutz für den Fall, dass der VN wegen eines bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit – von ihm selbst oder einer Person, für die er einzutreten hat – begangenen Verstoßes von einem anderen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird. Bei Durchsicht des in § 4 AVB-A enthaltenen Katalogs der “Ausschlüsse’ erfährt der VN jedoch, dass sich die allgemeine Leistungszusage nicht auf die dort näher umschriebenen Haftpflichtansprüche bezieht und insb. Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des VN ausnehmen soll. Bei weiterer Kenntnisnahme der Klauseln wird der VN unter § 12 AVB-A (“Sozien’) in I Nr. 1 feststellen, dass als Sozien die Berufsangehörigen gelten, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind. Bereits dadurch ist verdeutlicht, dass die Ausschlussgründe in § 4 AVB-A auf alle Sozien – und zwar auch auf Scheinsozien – Anwendung finden sollen. § 12 III AVB-A hebt nur nochmals ...