ZPO § 115 Abs. 1 Nr. 1a ZPO; SGB XII § 82 Abs. 2; JVEG § 5 Abs. 2 Nr. 2
Leitsatz
Fahrtkosten sind im Rahmen des Verfahrenskostenhilfeverfahrens in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG i.H. des Pauschalbetrages von 0,30 EUR pro Kilometer nach Nr. 10.2.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien anzusetzen, nicht nur mit monatlich 5,20 EUR pro Entfernungskilometer nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII.
OLG Rostock, Beschl. v. 24.5.2011 – 10 WF 107/11
Sachverhalt
Das AG R – FamG – hatte zugunsten des Antragsgegners Verfahrenskostenhilfe unter Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt. Hierbei hat das FamG von dem einzusetzenden Einkommen auch die Kosten für Fahrten des Antragsgegners zu seiner Arbeitsstelle berücksichtigt. Das FamG hat dabei lediglich 5,20 EUR je Monat pro Entfernungskilometer angesetzt, was einen monatlichen Betrag von 46,80 EUR ausmacht.
Die gegen die Höhe der abgesetzten Fahrtkosten gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[2] Die gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 S. 2 u. 3, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet.
[3] Zudem sind Aufwendungen für die Fahrten von und zur Arbeit – einschließlich der Kosten für die Wiederbeschaffung eines Kfz – i.H.v. (0,30 EUR x 18 km x 220 Arbeitstage jährlich: 12 Monate =) 99 EUR monatlich einkommensmindernd zu berücksichtigen.
[4] Der Senat folgt nicht der vom FamG vertretenen, an § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII orientierten Rechtsansicht, nach der Fahrtkosten im Rahmen des Verfahrenskostenhilfeverfahrens nur mit monatlich 5,20 EUR pro Entfernungskilometer (hier insg. 46,80 EUR) anzusetzen seien. Der genannte Betrag ist 1995 vom Verordnungsgeber ermittelt worden. Seitdem ist er nur minimal – unter 2 % – angepasst worden.
[5] Mit dem OLG Celle (FamRZ 2010, 54) ist der Senat der Ansicht, dass – in entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG – der zeitnäher ermittelte Pauschbetrag nach Ziffer 10.2.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien anzusetzen ist (vgl. OLG Celle – 18. Senat – OLGR 2009, 324; OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 69 u. 2288; OLG Nürnberg FamRZ 2008, 1961). Die zu berücksichtigenden Aufwendungen für die Fahrten von und zur Arbeit betragen danach einschließlich der Kosten für die Wiederbeschaffung 99 EUR monatlich.
3 Anmerkung:
Gem. § 115 Abs. 1 S. 1 ZPO, der über § 76 Abs. 1 FamFG für Verfahren vor dem FamG entsprechende Anwendung findet, hat die Partei ihr Einkommen einzusetzen. In § 115 Abs. 1 S. 3 ZPO sind die Beträge aufgeführt, die von dem Einkommen abzusetzen sind. Gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1a ZPO sind von dem Einkommen die in § 82 Abs. 2 SGB XII genannten Beträge abzusetzen. Hierzu gehören nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben. In der Rspr. und Literatur ist es umstritten, wie berufsbedingte Fahrtkosten bei der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der bedürftigen Partei zu berücksichtigen sind.
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Nach einer Auffassung ist hierbei die VO zur Durchführung des § 82 SGB XII (BGBl III, Gliederungsnr. 7170-1-4) heranzuziehen. Nach § 3 Abs. 6 dieser VO sind die Kosten für die Fahrt zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte mit einem monatlichen Betrag von pauschal 5,20 EUR je Entfernungskilometer anzusetzen. Hierbei werden jedoch nicht mehr als 40 km berücksichtigt. Hieraus errechnet sich ein Höchstabzugsbetrag i.H.v. (5,20 EUR/km × 40 km =) 208,00 EUR. Diese Auffassung vertreten z.B. OLG Bamberg FamRZ 2007, 1339 mit Anm. Nickel FamRZ 2008, 157 = JurBüro 2007, 376; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 158 und 1962; OLG Düsseldorf FamRZ 2007, 644; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 437 sowie das OLG Stuttgart OLGR Stuttgart 2008, 36 mit der Einschränkung, dass dies nur dann gilt, solange die Fahrtkosten steuerlich geltend gemacht werden können. |
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Nach einer vermittelnden Auffassung sind neben der Pauschale von 5,20 EUR/km die monatlichen Kosten für die Kfz-Haftpflichtversicherung und die Kfz-Steuer zu berücksichtigen, so OLG Celle – 10. Senat – NdsRpfl. 2009, 104; OLG Koblenz FamRZ 2009, 531. |
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Nach einer dritten Auffassung sind die abzugsfähigen Fahrtkosten ohne Begrenzung der Höhe nach mit einem Betrag von 0,30 EUR/km – teilweise in entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG – nach Ziffer 10.2.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien anzusetzen, so OLG Celle – 18. ZS – OLGR 2009, 324; OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 69 u. 2288; OLG Nürnberg FamRZ 2008, 1961; OLG Jena AGS 2009, 549 = FamRZ 2009, 1848; OLG Saarbrücken OLGR Saarbrücken 2009, 559. |
Das OLG Rostock hat sich hier der letztgenannten Auffassung angeschlossen. Für die 18 km lange Fahrtstrecke des Antragsgegners ergab sich bei Ansatz von 0,30 EUR/km je Arbeitstag ein Abzugsbetrag von 5,40 EUR. Je Jahr errechnet sich bei 220 Arbeitstagen jährlich ein Betrag von 1.188,00 EUR, so dass je Monat Fahrtkosten i.H.v. 99,00 EUR einkommensmindernd zu berücksichtigen waren. Demgegenüber wären nach der ersten Berechnungsmethode Fahrtkosten i.H.v. (5,20 EUR × 9 km =) 46,80 EUR zu berücksichtigen. Die Unterschiede zwischen den ...