Im Oktober finden jedes Jahr die Europäischen Verkehrsrechtstage statt – dieses Mal im luxemburgischen Kurort Mondorf les Bains. Das Institut für europäisches Verkehrsrecht hat seinen Sitz von Trier nach Luxemburg verlegt. Einst eine deutsche Gründung auf Initiative des damaligen Europaabgeordneten Willi Rothley ist es heute eine internationale Vereinigung, die durch die Sitzverlegung in das Umfeld des ebenfalls in Luxemburg befindlichen Europäischen Gerichtshofs auch seine Internationalität unterstreicht.
Was die europäischen Sachthemen im Verkehrsrecht anbelangt, scheint es, dass die europäische Gesetzgebung nach den Jahren scheinbar ungezügelter Hektik auf allen Gebieten des Verkehrsrechts (Führerscheinrichtlinie, 4. und 5. KH-Richtlichtlinie, Rom-II-Verordnung und Rahmenbeschluss zur Vollstreckung von ausländischen Geldstrafen und Geldbußen) etwas Luft holt. Aber wer den Betrieb in Brüssel ein bisschen kennt, weiß, dass solche Phasen nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem neuen Sturm darstellen.
Es gilt aber nun die Ecken und Kanten der gesetzlichen Regelungen der letzten Jahre zu entdecken und abzurunden. So liegt derzeit eine Reihe von Vorlagen deutscher Verwaltungsgerichte beim EuGH, mit denen die weiterhin bestehenden Probleme der Führerschein-Richtlinie aufgearbeitet werden sollen.
Die Konsultationen zur Harmonisierung des Schadensersatzrechts haben kein eindeutiges Ergebnis gebracht. Nach wie vor besteht eine große Skepsis, ob eine Vereinheitlichung der bestehenden Haftungssysteme tatsächlich einen Vorteil bringen würde. Die europäische Finanzkrise führt derzeit auch den größten Optimisten drastisch vor Augen, dass die Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich leistungsfähig sind. Dies spiegelt sich auch im Schadensersatzrecht wider. Die in Deutschland vorgesehene vollständige Kompensation aller Schäden nach einem Unfall mit nur sehr vorsichtigen Ansätzen einer Schadensminderungspflicht ist wirtschaftlich nur möglich, weil die Gesamtheit der Fahrzeughalter bereit und in der Lage ist, dies durch entsprechend hohe Versicherungsprämien sicherzustellen. Die Bevölkerung finanzschwacher Staaten wird dies auch in absehbarer Zeit nicht können. Umso pragmatischer wird sich in diesen Staaten die Abwicklung von Schäden gestalten müssen. Eine Absenkung des Standards in den hochentwickelten Staaten darf aber keine Lösung des Problems darstellen, sondern die gewachsenen Strukturen der nationalen Rechtssysteme müssen zumindest in absehbarer Zeit beibehalten werden. Dabei wird man allerdings partiell Mindeststandards definieren müssen, die in allen Staaten zu gelten haben. Ein Beispiel hierfür ist der Schutz der Kinder im Straßenverkehr, der dieses Jahr auch das Hauptthema der Europäischen Verkehrsrechtstage in Luxemburg sein wird. Deutschland ist hier mit seinen Haftungsregeln und der Bewertung des Zukunftsschadens vielen Mitgliedstaaten ein großes Stück voraus.
Weiterhin unzufrieden ist man bei der EU-Kommission mit den Ergebnissen der Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen. Aber hier sind grundlegende Unterschiede bei der der Bewertung strafbaren Verhaltens zu berücksichtigen. In Deutschland gilt der Grundsatz, dass nur derjenige bestraft werden darf, dem ein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann. Eine Gefährdungshaftung hat im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht keinen Platz. Es war wohltuend, dass sowohl der deutsche Verkehrsminister Ramsauer, als auch die beiden Justizministerinnen Zypris und Leutheusser-Schnarrenberger hier einen klaren Kurs fuhren und die deutsche Position bei der Umsetzung nachhaltig vertraten. In Brüssel bewertet man das Problem weiterhin anders und die Vorarbeiten für eine europäische Verkehrssicherheitsrichtlinie schreiten voran. Hier ist große Wachsamkeit gefordert, um eine Beachtung wesentlicher Grundsätze schon bei der Gestaltung der Richtlinie und nicht erst im Umsetzungsverfahren einzufordern.
Durchaus erfreulich hat sich in der Praxis die Umsetzung der 4. und 5. KH-Richtlinie entwickelt. Hier liegt ein großes Aufgabenfeld für die EU-Kommission, die Information über die Rechtsvorschriften der anderen Staaten sicherzustellen. Eine einheitliche Datenbank im Rahmen des E-Justice-Programms, die das Verkehrs- und Schadensersatzrecht der jeweiligen Staaten in den wesentlichen Grundzügen darstellt, wäre eine Aufgabe, die sich anzugreifen lohnt. Aber auch eine europäische Regelung der verbindlichen Auskünfte durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten wäre ein denkbarer Ansatz.
Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer, München