EMRK Art. 6 Abs. 3e; StVZO § 31a; GebOSt § 1 § 3 § 4
Leitsatz
1. Der Betroffene muss sich ein unzureichendes Mitwirken an der Fahrerfeststellung entgegenhalten lassen, wenn er den Anhörungsbogen nicht zurückgesandt hat. Er kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, er habe den Anhörungsbogen nicht erhalten wenn die Absendung dieses Schreibens durch die zuständige Behörde hinreichend belegt ist. Dies ist nach der st. Rspr. der Kammer und des NdsOVG der Fall, wenn die Übersendung anhand eines Datensatzauszugs mit einem ausdrücklichen Erledigungsvermerk bzgl. des Anhörungsbogens nachvollzogen werden kann (vgl. z.B. NdsOVG, Beschl. v. 2.10.2007 – 12 ME 320/07 und v. 24.7.2008 – 12 LA 377/06; Beschl. der Kammer v. 5.6.2009 – 7 B 1461/09; bestätigt durch NdsOVG, Beschl. v. 27.10.2009 – 12 ME 146/09).
2. Zwar ist die Verfolgungsbehörde grds. gehalten, den Halter sobald wie möglich – im Regelfall innerhalb von zwei Wochen – von der mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit zu unterrichten, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann. Die Überschreitung der Zweiwochenfrist führt aber nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit einer Fahrtenbuchauflage. Die Zweiwochenfrist ist kein formales Tatbestandskriterium der gesetzlichen Regelung und keine starre Grenze. Sie beruht vielmehr auf dem Erfahrungssatz, wonach Personen Vorgänge nur einen begrenzten Zeitraum erinnern oder rekonstruieren können. Die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist ist unschädlich in den Fällen, in denen die Überschreitung des Zeitrahmens ausnahmsweise für die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nicht ursächlich gewesen sein konnte. Dies ist der Fall, wenn ein Foto von so guter Qualität vorgelegt wurde, dass dieses die Identifizierung des Fahrers grds. ermöglicht hätte. Damit wurden nämlich keine Anforderungen an sein Erinnerungsvermögen, sondern an sein Erkenntnisvermögen gestellt.
3. Art. 6 Abs. 3e EMRK ist auf das behördliche Bußgeldverfahren – zumindest bis zum Erlass eines Bußgeldbescheides – nicht anwendbar. Es besteht grds. keine Verpflichtung der Polizei, einen Dolmetscher hinzuzuziehen.
4. Das Unterbleiben der Aktenübersendung im Ordnungswidrigkeitenverfahren wirkt sich nicht automatisch negativ auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches aus. Vielmehr ist auch in diesem Zusammenhang – unter Zugrundelegung der Grundsätze zum erforderlichen Ermittlungsumfang bei unzureichender Mitwirkung des Betroffenen – zu prüfen, ob das Unterbleiben der Aktenübersendung kausal für die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Fahrzeugführers war. Eine Unbeachtlichkeit ist etwa in den Fällen anzunehmen, in denen dem jeweiligen Halter mit der Anhörung ein Foto des Fahrers beim Verkehrsverstoß übersandt wurde. In diesen Fällen ist das Unterbleiben einer beantragten Aktenübersendung unschädlich, weil die Akten bei einem Geschwindigkeitsverstoß außer dem Lichtbild des Fahrers in der Regel nichts enthalten, was für die Identifizierung von Bedeutung ist (VGH BW, Beschl. v. 23.8.1996 – 10 S 1867/96, zfs 1997, 80 = NZV 1996, 470 f., Beschl. v. 1.10.1992 – 10 S 2173/92, NZV 1993, 47 f.).
(Leitsätze der Schriftleitung)
VG Oldenburg, Urt. v. 6.7.2011 – 7 A 3283/09
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich gegen die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches.
Am 7.4.2009 um 10:29 Uhr überschritt der Fahrer des Fahrzeuges, … dessen Halter zu diesem Zeitpunkt der Kl. war, Richtung stadtauswärts, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h. Mit Bescheid v. 2.7.2009 stellte das Stadtamt B das Ordnungswidrigkeitenverfahren ein, da die Täterfeststellung nicht möglich sei.
Mit Schreiben v. 21.7.2009 hörte der Bekl. den Kl. zu seiner Absicht an, ihm für die Dauer von sechs Monaten das Führen eines Fahrtenbuches für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … aufzuerlegen.
Nach Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge des Bekl. teilte der Prozessbevollmächtigte des Kl. mit Schreiben v. 14.8.2009 mit, der Kl. sei der deutschen Sprache kaum mächtig. Gleichwohl sei bei der "Vernehmung" durch die Polizei Z. auf die Hinzuziehung eines Dolmetschers verzichtet worden. Aus diesem Grund sei das, was er bei der Vorsprache gesagt habe, nicht verwendbar. Er habe die Fragen des Polizisten nicht verstanden. Seine Antworten seien falsch interpretiert worden. Der verantwortliche Fahrzeugführer sei ein Mitglied derselben Glaubensgemeinschaft wie er. Zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes sei man gemeinsam auf dem Weg von einem Treffen zum anderen gewesen. Er kenne den Fahrer seit vielen Jahren von verschiedenen Treffen dieser Gruppe, nicht jedoch seinen Namen und seine Anschrift. Mit Schreiben v. 29.9.2009 erklärte er, keinen Anhörungsbogen von der Stadt B erhalten zu haben.
Der Bekl. ordnete durch Bescheid v. 19.11.2010 das Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten für das von dem Kl. gehaltene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen an.
Hiergegen hat der Kl. am 17.12.2010 Klage er...