VVG a.F. § 158n; VVG § 128
Leitsatz
1. Ein § 17 Abs. 2 ARB 1975 der Sache nach entsprechendes Stichentscheidungsverfahren entspricht den gesetzlichen Vorgaben.
2. Bemessen sich Haftungsanteile von Beteiligten nach dem Grad des Mitverschuldens, liegt eine offenbare Unrichtigkeit des Stichentscheids nur vor, wenn der prognostizierte Erfolg mit Sicherheit nicht eintreten kann.
OLG Köln, Urt. v. 20.12.2011 – 9 U 122/11
1 Aus den Gründen:
“… 3. Dem Kl. steht gegenüber der Bekl. auch ein Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz gem. RS 1, RS 2 Ziff. 1 der “Versicherungsbedingungen Besonderer Teil – Rechtsschutz' der Bekl. i.V.m. dem geschlossenen Versicherungsvertrag zu.
Die Bekl. muss sich zwar entgegen den Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung nicht die Anerkenntnisfiktion des § 158n S. 3 VVG a.F. entgegenhalten lassen, der Stichentscheid vom 16.7.2010 entfaltet aber Bindungswirkung zu ihren Lasten.
a. Will der VR den Rechtsschutz ablehnen, weil die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig ist, bestimmt § 158n VVG a.F., dass der Versicherungsvertrag ein Gutachterverfahren oder ein anderes Verfahren mit vergleichbaren Garantien für die Objektivität vorzusehen hat, in dem Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Erfolgsaussichten oder die Mutwilligkeit einer Rechtsverfolgung entschieden werden. Der VR hat den VN bei Verneinung seiner Leistungspflicht hierauf hinzuweisen, § 158n S. 2 VVG a.F. Sieht der Versicherungsvertrag kein derartiges Verfahren vor oder unterlässt der Rechtsschutzversicherer den Hinweis, gilt das Rechtsschutzbedürfnis des VN im Einzelfall als anerkannt, § 158n S. 3 VVG a.F.
Das im älteren Bedingungsrecht (vgl. § 17 Abs. 2 ARB 1975) geregelte Stichentscheidungsverfahren stellte ein entsprechendes Verfahren mit dem Gutachterverfahren vergleichbaren Garantien für die Objektivität dar (Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 158n, Rn 2). Dies ergibt sich bereits aus der amtlichen Begründung des Gesetzes (BT-Drucks 11/6341, S. 37):
“§ 158n setzt Art. 6 der EG-Rechtsschutzrichtlinie um, ohne die Art des nach Art. 6 der Richtlinie vorzuhaltenden Schiedsverfahren gesetzlich näher vorzuschreiben. Ein mögliches Verfahren, das die geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) vorsehen, ist die Einholung einer begründeten Entscheidung eines vom VN beauftragten Rechtsanwalts, die für beide Teile bindend ist, sofern sie nicht offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage erheblich abweicht. Die vorgesehene Bestimmung verzichtet darauf, dieses mögliche Verfahren als alleiniges gesetzliches vorzuschreiben, weil auch andere Regelungen möglich sind und zulässig bleiben sollen.'
Die ARB 1975 lagen dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zwar nicht zugrunde, die Regelung in RS 11 der Bedingungen der Bekl. stellt aber ebenfalls ein den Anforderungen des § 158n VVG a.F. entsprechendes Verfahren dar.
In der Begründung zu Art. 6 der EG-Richtlinie, in deren Umsetzung § 158n VVG a.F. in das Versicherungsvertragsgesetz eingefügt worden ist, heißt es:
“Wenn es zu einer Interessenkollision zwischen dem VR und dem Versicherten kommt, muss diese auf eine möglichst gerechte und rasche Weise entschieden werden. Daher ist in den Rechtsschutzversicherungspolicen ein Schiedsverfahren oder ein Verfahren vorzusehen, das vergleichbare Garantien bietet.'
Durch diese Schutzvorschrift zugunsten des Versicherten soll somit insb. erreicht werden, dass der VN bei der Frage der Bewertung der Erfolgsaussicht auf einen unparteiischen Dritten zurückgreifen kann und nicht gezwungen ist, die Bewertung des VR zu akzeptieren. Das ist durch das in RS 11 der Bedingungen geregelte Verfahren aber sichergestellt. Sowohl aus den ARB 75 als auch aus RS 11 der Versicherungsbedingungen der Bekl. ergibt sich desweiteren, dass dieser Stichentscheid im Grundsatz für die Versicherung bindend ist und nur in (engen) Ausnahmefällen keine Bindungswirkung entfaltet. Dabei stellt es auch keinen Unterschied dar, ob die Bindung bei einer offenbaren erheblichen Abweichung der wirklichen Sach- und Rechtslage oder bei einer offenbaren erheblichen Abweichung der ausdrücklichen Sach- und Rechtslage entfällt. Wie das LG insoweit in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt hat, hat das Wort “ausdrücklich' u.a. auch die Bedeutung von “eindeutig', dies ist aber nichts anderes als die “wahre', “wirkliche' oder “tatsächliche' Sach- und Rechtslage.
Der mit Schreiben der Bekl. vom 23.6.2010 erfolgte Hinweis auf die Möglichkeit des Stichentscheides ist demzufolge auch ausreichend i.S.d. § 158n S. 2 VVG a.F., unabhängig davon, dass das Wort “ausdrücklich' nunmehr durch das Wort “wirklich' ersetzt wurde. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Hinweispflicht nur überflüssige Förmelei in den Fällen ist, in denen der VN über die Möglichkeit eines Stichentscheids bereits anderweitig unterrichtet ist, ist somit nicht entscheidungsrelevant. Unschädlich is...