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Der nachfolgende Beitrag thematisiert einige Fallgestaltungen rund um § 47 OWiG – Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten – aus Sicht des Verteidigers und des Gerichts. Dabei soll gezeigt werden, unter welchen Bedingungen eine Einstellung des Verfahrens bei eigenem Sach- oder Personenschaden des Betroffenen erreicht werden kann. Anschließend wird die Möglichkeit einer vorläufigen Einstellung gegen Ableistung von Sozialstunden diskutiert. Formulierungsbeispiele für beide Fälle dienen als Anregung für individuelle und kreative Lösungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren.
A. Einleitung
Das Opportunitätsprinzip ermöglicht eine Beendigung des Verfahrens, die zum einen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zum anderen auf atypische Situationen rekurriert, in jedem Fall aber individuelle Lösungen ermöglicht. Dies folgt unmittelbar aus den Bußgeldtatbeständen, die durchweg formulieren, dass ein Verhalten als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Hieraus folgt, dass die Verfolgungsbehörden im Ordnungswidrigkeitenverfahren – anders als im Strafverfahren (Legalitätsprinzip) – schon im Grundsatz nicht zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens oder zur Ahndung verpflichtet sind. Sie entscheiden nach pflichtgemäßem Ermessen.
Genau an dieser Stelle bieten sich für Verteidigung, Verfolgungsbehörde und Gericht wichtige Ansätze, um die konkrete Situation des Betroffenen tatsächlich näher zu beleuchten. Bei hinreichender Argumentation und ggf. juristischer Kreativität bedarf es lediglich der vollumfänglichen Ausschöpfung des Opportunitätsprinzips bzw. der Auslegung des § 47 OWiG, um auch Fallgestaltungen im Bußgeldverfahren Herr zu werden, bei denen der Betroffene aus oder wegen der Tat Nachteile erlitten hat. Die im Folgenden aufgezeigten Fallgestaltungen stellen dabei gerade keine irgendwie geartete analoge Anwendung einer anderen Norm dar, weder des § 153a StPO, denn dieser stellt eine Ausnahme zum Legalitätsprinzip dar, könnte also schon dogmatisch nicht zur Lückenschließung dienen, noch des § 60 StGB.
B. Eigener Sach- und/oder Personenschaden des Betroffenen
Gerade im Bereich von Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Verkehrsunfällen, etwa wegen eines Vorfahrtsverstoßes, erleidet der Betroffene nicht selten selbst einen beträchtlichen Schaden. Das Fahrzeug erleidet einen (Total-)Schaden und/oder der Betroffene wird selbst nicht unerheblich verletzt. Wirtschaftlich ist es gerade dann heikel, wenn für den Betroffenen keine Vollkaskoversicherung existiert. Hier bieten sich für den Verteidiger gute Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verteidigung des Betroffenen, indem auf eine Einstellung nach § 47 OWiG hingewirkt wird.
Im Strafgesetzbuch ist der geschilderte hohe Eigenschaden explizit in § 60 geregelt. Danach sieht das Gericht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Demgegenüber existiert ein solcher Fall im Ordnungswidrigkeitengesetz nicht. § 46 OWiG verweist lediglich auf die Vorschriften des Strafverfahrensrechts, also der StPO, nicht jedoch auf das StGB. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus, da eine planwidrige Lücke nicht vorliegt. Der Gesetzgeber kannte die Problematik, hat jedoch den Fall bewusst nur für das Strafrecht geregelt.
Es ist jedoch zumindest der Rechtsgedanke des § 60 StGB auch auf Ordnungswidrigkeiten anzuwenden. Dies ist nur konsequent. Es ist zu berücksichtigen, dass eine Ordnungswidrigkeit einen Rechtsverstoß ohne kriminellen Charakter darstellt. Ordnungswidrigkeiten gehören nicht zum Kernbereich "Kriminalstrafrecht", sondern sind nur "strafrechtsähnlich". Die Einführung des Ordnungswidrigkeitenrechts ist damit zu begründen, dass sich Verstöße gegen Ordnungsrecht wesentlich von der Begehung von Straftaten unterscheiden. Ordnungswidrigkeiten sind daher bewusst vom Gesetzgeber aus dem strafrechtlichen Bereich ausgeklammert worden.
Sieht aber nun das Strafrecht explizit die Möglichkeit vor, dass das Gericht bei eigenem Schaden des Angeklagten von Strafe absehen kann, so muss dieser Rechtsgedanke folgerichtig erst recht im Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung finden, welches ein "Minus" zum Strafrecht darstellt. Vom Sinn und Zweck her will das Ordnungswidrigkeitenverfahren erreichen, dass der Betroffene aus seinem Fehler lernt. Das Ordnungswidrigkeitenrecht und die daraus folgende Sanktion sind darauf ausgerichtet, einen nachdrücklichen Pflichtenappell an den Betroffenen zu richten, künftig Ge- und Verbote zu befolgen. Dieser "Lerneffekt" ist jedoch schon (wenn nicht gar noch besser) erreicht, wenn der Betroffene infolge seiner Ordnungswidrigkeit selber einen Schaden erlitten hat. Einer gesonderten "Bestrafung" durch Verhängung einer Geldbuße bedarf es daher nach richtiger Auffassung nicht.