BGB § 823 Abs. 1 und 2; StVO § 24 Abs. 2; HBG § 103
Leitsatz
1. Eine Haftung des Fahrers eines elektrischen Krankenfahrstuhls für die Folgen eines Zusammenstoßes mit einem Fußgänger nach § 7 StVG ist aufgrund der Bestimmung des § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen, da mit einem Krankenfahrstuhl eine höhere Geschwindigkeit als 20 km/h nicht erreicht werden kann.
2. Die von dem Fahrer eines Krankenfahrstuhls im Zusammenhang mit der Teilnahme am Fußgängerverkehr zulässige, dem Fußgängerdurchschnittstempo entsprechende Geschwindigkeit liegt zwischen 4 und 7 km/h.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Frankfurt, Urt. v. 2.5.2014 – 11 U 88/13
Sachverhalt
Das klagende Land nimmt den Fahrer eines Krankenfahrstuhls aus übergegangenen Ansprüchen eines pensionierten Beamten aufgrund eines Unfallereignisses in einer Fußgängerzone in Anspruch, bei dem der Beamte von dem Rollstuhl erfasst wurde und Verletzungen erlitt, die den Kl. zur Erbringung von Leistungen verpflichtete.
Der Geschädigte war auf der rechten Seite einer Fußgängerzone unterwegs und kam zu Fall, nachdem er von dem beklagten Fahrer mit dessen motorisierten Krankenfahrstuhl erfasst wurde. Dabei erlitt er im Wesentlichen Schulterverletzungen.
Mit der Behauptung, der Bekl. habe den Beamten des Kl. infolge Unaufmerksamkeit mit seinem Rollstuhl erfasst und deshalb die beihilfefähigen Aufwendungen des Landes i.H.v. über 12.000 EUR veranlasst, hat das klagende Land die Verurteilung des Bekl. verfolgt. Der Bekl. hat behauptet, der Geschädigte sei zunächst rechts neben dem Rollstuhl gelaufen. Der Bekl. habe mehrfach "Vorsicht bitte" gerufen und die Geschwindigkeit des Rollstuhls auf etwa 3 km/h reduziert. In diesem Augenblick sei der Geschädigte plötzlich und unvermittelt mit einem "Hopser" vor den Rollstuhl des Besagten gesprungen und an der Fußraste des Rollstuhls hängen geblieben, so dass es zu dem Sturz kam.
Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen und der Anhörung des Bekl. die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
" … Im Ergebnis zu Recht hat das LG die Klage mangels Nachweises eines für die Haftung des Bekl. nach § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 229 StGB notwendigen Verschuldens abgewiesen."
Von der Berufung nicht angegriffen wird die Annahme des LG, dass eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Bekl. aus § 7 StVO im Hinblick auf § 8 Nr. 1 StVO ausscheidet. Daher trägt auch nicht die Auffassung der Berufung, zu Lasten des Bekl. müsse die deutlich höhere Betriebsgefahr seines Krankenfahrstuhls Berücksichtigung finden. Die Anrechnung einer Betriebsgefahr liefe der gesetzlichen Regelung in § 8 Nr. 1 StVG zuwider, die nach dem Willen des Gesetzgebers eine Gefährdungshaftung des Halters nach § 7 StVG bei solchen Fahrzeugen ausschließt, die – wie hier – nicht mehr als 20 km/h fahren können, und damit gerade keine Mithaftung in Höhe der Betriebsgefahr vorsieht.
Rechtsfehlerfrei hat das LG eine danach verbleibende Haftung des Bekl. aus allgemeinem Deliktsrecht gem. § 823 Abs. 1, 2 BGB. i.V.m. § 229 StGB verneint.
Ohne Erfolg rügt die Berufung, dass das LG nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen vermochte, dass der Bekl. beim Befahren der Fußgängerzone … die gebotenen Sorgfaltspflichten schuldhaft nicht eingehalten und hierdurch den Sturz des Zeugen verursacht hat. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Einlassung des Bekl., der Zeuge habe trotz mehrfacher Warnrufe einen Sprung vor den Rollstuhl des Bekl. gemacht, auch angesichts des Laufziels des Zeugen Zweifel hervorruft. Eine in der Gesamtbetrachtung fehlerhafte Tatsachenfeststellung und -würdigung durch das erstinstanzliche Gericht ist jedoch nicht ersichtlich.
Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass dem klagenden Land, auch wenn es Ansprüche nur aus übergegangenem Recht verfolgt – wie dem Verletzten selbst – die volle Darlegungs- und Beweislast für ein Verschulden des Schädigers obliegt, es also den strengen Anforderungen des Vollbeweises gem. § 286 ZPO unterliegt. Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert dabei keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, aber einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH, Urt. v. 8.7.2008 – VI ZR 274/07, juris). Mit einer solchen Gewissheit kann eine schuldhafte Verursachung des streitgegenständlichen Unfallgeschehens durch den Bekl. auch unter Berücksichtigung sämtlicher Indizien nicht festgestellt werden.
Zunächst hat sich eine Gewissheit dafür, dass der Bekl. mit seinem Krankenfahrstuhl seitlich zu dicht an den Zeugen herangefahren ist oder dessen Laufrichtung gekreuzt und ihn dadurch behindert hat, nach den Aussagen der vor dem LG vernommenen Zeugen nicht ergeben. Zwar geht aus den Bekundungen des Zeugen hervor, dass der Bekl. den Zeugen “umgefahren...