MRK Art. 6 Abs. 3 lit. c; OWiG § 74 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3, 97
Leitsatz
Art. 6 Abs. 3 MRK hindert nicht die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG, wenn im Termin für den abwesenden Betr. ein vertretungsbefugter Verteidiger auftritt, der Betr. aber von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war.
OLG Dresden, Beschl. v. 7.3.2014 – OLG 23 Ss 56/14 (Z)
Sachverhalt
Gegen den Betr. erging ein Bußgeldbescheid i.H.v. 120 EUR wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h. Nach Einspruch beantragte der Betr. über seinen Verteidiger, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wobei er unter anderem erklärte, zur Fahrereigenschaft keine Angaben machen zu wollen und von seinem sich aus Art. 6 Abs. 3 MRK ergebenden Recht, sich allein durch einen Verteidiger vertreten zu lassen, Gebrauch zu machen. Der Antrag wurde durch das AG abgelehnt und der Einspruch mit Urteil verworfen, weil der Betr. unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erschienen sei. Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen und als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betr. hat in der Sache selbst keinen Erfolg."
Die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid unter Verletzung der §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG kann ausschließlich mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 74 Rn 48 b m.w.N.). Entsprechendes gilt auch für die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. Göhler, a.a.O., § 74 Rn 48 b, § 79 Rn 27 d, § 80 Rn 16 i). Die vom Betr. erhobenen Verfahrensrügen genügen jedoch zum Teil bereits nicht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO und sind zudem nicht begründet.
Die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist bereits unzulässig. Es fehlt an jeglicher Darlegung, was der Betr. im Falle der Anhörung zur Sache über seinen Verteidiger gegen den Tatvorwurf eingewandt hätte. Im Übrigen ist die Rüge aber auch nicht begründet. Denn der Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt. Voraussetzung dafür wäre, dass das AG den Betr. unter Missachtung seines Vorbringens zu Unrecht nicht von seiner Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hätte. Das AG hat vorliegend die beantragte Entbindung vom persönlichen Erscheinen jedoch mit zutreffender Begründung abgelehnt, weil die Anwesenheit des Betr., nachdem er zur Fahrereigenschaft keine Angaben gemacht hat, zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich war. Die in § 73 Abs. 2 OWiG geregelten Voraussetzungen lagen mithin nicht vor.
Die Verfahrensrüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK ist zwar zulässig erhoben, aber ebenfalls unbegründet. Dahingestellt bleiben kann, ob die Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG im Fall eines in der Hauptverhandlung durch einen Rechtsanwalt vertretenen Betr. überhaupt gegen Art. 6 Abs. 3 MRK verstößt. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, war das AG aufgrund des nicht auslegungsfähigen und eindeutigen Wortlauts der Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG zu ihrer Anwendung verpflichtet (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG).
Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln. Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die Verpflichtung deutscher Gerichte zu vorrangiger konventionskonformer Auslegung auf Fälle vorhandener Auslegungs- und Abwägungsspielräume beschränkt ist. Die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention eröffnet den Gerichten keine Verwerfungskompetenz für eindeutig entgegenstehende Gesetze. Anders als bei deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht hier auch keine Vorlegungsmöglichkeit. In diesen Fällen ist allein der Gesetzgeber aufgerufen, eine Verletzung der Konvention in Folge Anwendung eindeutiger gesetzlicher Regelung durch deren Abänderung zu beseitigen (so BGHSt 56, 73 ff., m.w.N.).
Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall hat zur Folge, dass § 74 Abs. 2 OWiG nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden kann (vgl. zur Regelung des § 329 Abs. 1 StPO nur: OLG Celle, NStZ 2013, 615; OLG München, Beschl. v. 17.1.2013 – 4 StRR (a) 18/12 – NStZ 2013, 358). Eine Vertretung...