VVG § 5a a.F.; BGB § 242
Leitsatz
1. Zur Vereinbarkeit des sog. Policenmodells (§ 5a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1–3 VVG a.F.) mit den Vorgaben des Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung und des Art. 15 Abs. 1 S. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung.
2. Einem VN, der mit Überlassung der Versicherungspolice die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformation und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. erhielt, ist nach jahrelanger Durchführung des Versicherungsvertrags die Berufung auf dessen Unwirksamkeit nach Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt.
BGH, Urt. v. 16.7.2014 – IV ZR 73/13
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. auf Rückzahlung von Versicherungsprämien und Nutzungsersatz in Anspruch. Er beantragte am 14.8.1998 bei der Rechtsvorgängerin der Bekl. den Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des BG erhielt der Kl. im August 1998 mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine schriftliche Belehrung über sein Widerspruchsrecht in drucktechnisch deutlicher Form gem. § 5a VVG in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften v. 21.7.1994 (BGBl I S. 1630).
Aufgrund eines Änderungsantrages des Kl. wurde im Januar 2004 ein neuer Versicherungsschein ausgestellt, den der Kl. nach den – von der Revision ebenfalls nicht angegriffenen – Feststellungen des BG mit den Versicherungsbedingungen, einer Verbraucherinformation und einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung erhielt.
Der Kl. zahlte von September 1998 bis März 2004 Prämien i.H.v. insgesamt 17.128,55 EUR. Nachdem er den Vertrag im März 2004 gekündigt hatte, kehrte ihm die Bekl. den Rückkaufswert i.H.v. 12.481,57 EUR aus. Mit Schreiben v. 8.3.2011 erklärte der Kl. gegenüber der Bekl. "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG bzw. den Widerruf nach § 355 BGB".
Mit der Klage begehrt der Kl. die Differenz zwischen gezahlten Prämien und ausgekehrtem Rückkaufswert sowie Nutzungsersatz in Höhe einer 7 %-igen Verzinsung der Prämien.
2 Aus den Gründen:
[12] "… Der Kl. kann nicht gem. den §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 BGB Rückzahlung der Prämien und Nutzungsersatz verlangen. Er hat die Prämien mit Rechtsgrund an die Bekl. geleistet (dazu unter 1.). Im Übrigen ist ihm nach jahrelanger Durchführung des Versicherungsvertrags die Berufung auf dessen Unwirksamkeit nach Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt (dazu unter 2.)."
[13] 1. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Lebensversicherungsvertrag ist auf der Grundlage des § 5a VVG a.F. wirksam zustande gekommen.
[14] a) Diese Vorschrift regelte den Vertragsschluss nach dem sog. Policenmodell. Es betraf Fälle, in denen der VR wie hier die Bekl. dem VN bei dessen Antragstellung die Versicherungsbedingungen zunächst nicht übergeben und eine den Anforderungen des § 10a VAG a.F. genügende Verbraucherinformation unterlassen hatte. Der Antrag des VN stellte das Angebot zum Abschluss des Vertrags dar. Dieses nahm der VR dadurch an, dass er dem VN mit der Versicherungspolice die AVB und die für den Vertragsschluss maßgebliche Verbraucherinformation übersandte. Durch die Annahme kam der Vertrag aber noch nicht zustande; vielmehr galt er gem. § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. erst dann als abgeschlossen, wenn der VN nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der vollständigen Unterlagen schriftlich widersprach. Bis zum Ablauf dieser Frist war von einem schwebend unwirksamen Vertrag auszugehen (vgl. dazu Senat VersR 2014, 817 Rn 15 … ). Der Vertrag erlangte rückwirkend zum Zeitpunkt der Vertragsannahme Wirksamkeit, wenn der VN innerhalb der Widerspruchsfrist von seinem Recht zum Widerspruch keinen Gebrauch gemacht hatte (Senatsurt. v. 24.11.2010 a.a.O. m.w.N.).
[15] Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Vertrags nach dem Policenmodell sind hier erfüllt. Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des BG erhielt der Kl. mit dem Versicherungsschein im August 1998 die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung. Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Widerspruchsfrist erklärte der Kl. den Widerspruch nicht.
[16] b) Der so geschlossene Versicherungsvertrag unterliegt entgegen der Auffassung der Revision nicht wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln. Dabei ist der erkennende Senat – anders als es in Bezug auf die Vorschrift des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. (Senat VersR 2012, 608 Rn 14 ff.) der Fall war – nicht gehalten, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Zum einen … steht die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts bei Berücksichtigung der Rspr. des EuGH bezogen auf das Policenmodell außer Zweifel, so dass die Vorlagepflicht gem. § 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise...