Die Entscheidung des BGH halte ich im Ergebnis für zutreffend, nur an der Begründung stört mich einiges. Die Teilnahme an einer Revisionshauptverhandlung mit einer Dauer von nur einer guten halben Stunde rechtfertigt nicht die Bewilligung einer Pauschgebühr.

I. Die Argumentation des BGH

Die Auffassung des BGH, die Bewilligung einer Pauschgebühr komme nur dann in Betracht, wenn sich die anwaltliche Mühewaltung von sonstigen – auch überdurchschnittlichen – Sachen in exorbitanter Weise abhebe, halte ich für bedenklich. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG erfordert demgegenüber lediglich, dass die in den Teilen 4 bis 6 VV RVG bestimmten gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind.

Zur Auslegung dieses Begriffs hilft vielleicht ein Blick in Teil 2 VV RVG. Dort bestimmen beispielsweise die Anmerkungen zu Nr. 2300 VV RVG und zu Nr. 2302 VV RVG für die dort jeweils geregelte Geschäftsgebühr, dass eine höhere Gebühr als die sog. Schwellengebühr nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Für die Überschreitung der Schwellengebühr erfordert der Gesetzgeber somit keinen besonderen Umfang oder keine besondere Schwierigkeit. Einer umfangreichen oder schwierigen Anwaltstätigkeit kann somit bei der Geschäftsgebühr dadurch Rechnung getragen werden, dass der Anwalt bei der Bestimmung der konkreten Gebühr über die Schwellengebühr hinaus den gesamten Gebührenrahmen bis hin zur Höchstgebühr ausnutzen kann.

Bei den Betragsrahmengebühren in Straf- und Bußgeldsachen ist dies im Prinzip nicht anders, nur, dass es dort keine Schwellengebühren gibt: Eine umfangreiche oder schwierige Anwaltstätigkeit wird noch durch die gesetzlichen Betragsrahmengebühren abgegolten. Dies ändert sich erst dann, wenn die anwaltliche Tätigkeit einen besonderen Umfang oder eine besondere Schwierigkeit aufweist. Dann kann bei Hinzutreten der weiteren Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG eine Pauschgebühr bewilligt werden. Gegenüber der umfangreichen oder schwierigen Anwaltstätigkeit, die durch die gesetzlichen Gebühren abgegolten wird, handelt es sich damit bei dem besonderen Umfang und der besonderen Schwierigkeit um die nächste Steigerungsstufe.

Der BGH stellt demgegenüber viel höhere Anforderungen, indem er mit der Abweichung "in exorbitanter Weise" gleich die höchstmögliche Steigerungsstufe ansetzt, die zur Bewilligung einer Pauschgebühr führen kann. Dies führt dazu, dass eine Pauschgebühr praktisch nur im extremen Ausnahmefall bewilligt wird. Dies wird jedoch der gesetzlichen Regelung nicht gerecht (zur Kritik an dieser Rspr. s. auch Burhoff, RVG, § 51 Rn 44 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, 22. Aufl. 2015, § 51 Rn 32 ff.; Gaede, StRR 2007, 89). Das Dumme daran ist, dass die Oberlandesgerichte (siehe neulich OLG Nürnberg RVGreport 2015, 181 (Burhoff) = AGS 2015, 173) sich diese einschränkende Auffassung des BGH immer mehr zu eigen machen. Da die Entscheidungen der OLG – und auch die des BGH – gem. § 51 Abs. 2 S. 1 RVG unanfechtbar sind, bleibt dem Pflichtverteidiger allenfalls die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde.

II. Die zu berücksichtigenden Umstände

Ob eine besonders umfangreiche Sache vorliegt, bemisst sich aufgrund objektiver Gesamtumstände nach dem zeitlichen Aufwand des Verteidigers. Dabei sind die Dauer und die Anzahl der einzelnen Verhandlungstage, die Terminsfolge, die Gesamtdauer der Hauptverhandlung, der Umfang und die Komplexität des Verfahrensstoffes sowie das Ausmaß der vom Verteidiger wahrgenommenen weiteren Tätigkeiten wie etwa die Durchführung von Mandantenbesprechungen, die Teilnahme an Haftprüfungen, polizeilichen Vernehmungen und Anhörungen von Sachverständigen, das Führen einer umfangreichen Korrespondenz sowie die Wahrnehmung von sonstigen Gesprächsterminen von Bedeutung (s. BVerfG NJW 2005, 1264 für § 99 BRAGO).

Ob auch der Zeitaufwand für die Hinreise des Verteidigers zum Gerichtsort und für die Rückfahrt zur Kanzlei bei der Bemessung des Umfangs der Sache zu berücksichtigen ist, wird in der Rspr. nicht eindeutig beurteilt. Das BVerfG a.a.O. hat offen gelassen, ob ein solcher Zeitaufwand zu einer Überschreitung der von Verfassungs wegen zu beachtenden Zumutbarkeitsgrenze und damit zur Bewilligung der Pauschgebühr führen kann. Im vom BVerfG entschiedenen Fall betrug die Fahrzeit des Verteidigers höchstens eine Stunde. Dem hatte sich der BGH hier angeschlossen. Nach Auffassung des OLG Hamm RVGreport 2007, 63 (Burhoff) = JurBüro 2007, 86 sind Fahrzeiten bei der Prüfung der Frage, ob dem Pflichtverteidiger überhaupt eine Pauschgebühr zu bewilligen ist, nicht zu berücksichtigen. Nur dann, wenn bereits aus anderen Gründen eine Pauschgebühr zu gewähren ist, sollen die Fahrzeiten bei der Bemessung dieser Pauschgebühr herangezogen werden.

Dafür spricht auch die gesetzliche Regelung. Die Pauschgebühr ist nämlich nur dann zu bewilligen, "wenn die in den Teilen 4 bis 6 VV RVG bestimmten Gebühren … nicht zumutbar sind". Die Fahrtkosten des Verteidigers zum Gericht...

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